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El Bocho – intervenieren und anregen mit Street Art

, by Katia Hermann

Graffiti-Schablone-Paste up

Ursprünglich aus Frankfurt, lebt El Bocho seit 2006 in Berlin, besuchte die Stadt jedoch schon vorher so oft er konnte. In Frankfurt fing er 1996 mit Graffiti Writing an und beschäftige sich somit mit dem urbanen Raum, konzentrierte sich aber trotz typografischer Ausbildung zunehmend auf die Figuration. Das Zeichnen und die Illustration sind seine Grundsteine, menschliche Darstellungen meist sein Fokus und ab 2003 entwickelt er seine Schablonen/Stencils in einer Farbe, die meist Frauen darstellen.
Ab 2005 entschied er sich zunehmend für Arbeiten auf Papier, für Paste ups im Stadtraum und entwickelt zeitgleich seinen Character Little Lucy. Inspiriert hat ihn hierfür die Hauptfigur der TV-Serie „Die kleine Lucy – Angst vor der Straße“ aus der damaligen Tschechoslowakei in den 70er Jahren. El Bocho gab ihr ein neues Hobby: ihre Katze töten. Auf den Paste ups auf der Straße erzählt der Künstler bildlich und manchmal mit kurzen Sprüchen humorvoll seit Jahren wie Little Lucy die Katze jagt, auf ihr sitzt und sie als Schaukel benutzt, sie ertränkt oder mit anderen Methoden vernichtet. Makaber und unterhaltsam zugleich, einfach zu verstehen wie ein Comic oder eine Karikatur. Das Buch mit Little Lucy und Gedichten „Little Lucy – First tortures“ erschien bereits 2008.

Weitere seiner Characters auf Paste ups sind die beiden sich unterhaltenden Überwachungskameras namens Kalle & Bernd. Kalle & Bernd sind Beobachter auf der Straße und unterhalten sich. Die Sprüche in den Sprechblasen sind lustig und unterhaltsam, wie z.B. „Jemand zerreißt ein Plakat!“, „Ruf die Bullen Kalle!”, oder über die Probleme des Lebens als Überwachungskamera: „Eines Tages würde ich gerne den Himmel sehen”, oder Kalle erzählt, wie er sich in eine Ampel verliebt hat.

Eine weitere Figur ist Tina Berlina mit dicker Halskette mit großem B für Berlin stehend um den Hals. Als Paste up oder Sticker mit Sprechblase wendet sie sich seit ca. 2013 an die Touristen mit dem Vordruck in der Sprechblase „Hey Tourist…“. Darunter ist Platz für handgeschriebene humorvolle Sprüche im Zusammenhang mit Berlin und Tips für die Touristen, wie z.B. „Don’t believe your tour guide“ oder „check Urban Art Week“.


Romantische Liebe und Melancholie

Neben seiner Vorliebe für teils schwarzen Humor ist El Bocho aber auch sehr romantisch. Seine Figuren „Citizens“ sind große stilisierte Portraits von Mädchengesichtern, seine bekanntesten und unverkennbaren Arbeiten, die er schon über 10 Jahre und bis heute im Stadtraum klebt.
Inspiriert von der Jugend und der oft romantischen bedingungslosen Liebe in dieser Lebensphase, aber auch der Hilflosigkeit, Unsicherheit und Melancholie, transportiert El Bocho dieses melancholische Lebensgefühl  durch die Darstellung von jungen Frauengesichtern, anfangs als Paste up im Stadtraum, seit 2007/2008 auch auf Leinwand.
Die jungen Frauen lächeln nicht , wirken eher in sich gekehrt, verträumt oder traurig. Die Bilder sind grafisch aufgebaut, fast wie Werbung, kurze Sprüche und Slogans werden in die Mütze oder an der Seite mit ins Bild eingebaut, und geben dem Betrachter im Vorbeilaufen einen Bezug zu einer Story, einer Stimmung. Einfach gehalten sollen sie zugänglich sein für alle.

Als Vorlage für diese unzähligen Portraits arbeitet El Bocho mit Modellen oder Fotografien. Von Anfang an genießen seine weiblichen Portraits große Popularität in der Street-Art-Szene.

Nach Jahren Aktivität auf der Straße, hat 2008 El Bocho seine erste große Solo-Ausstellung in der Galerie Raab in Berlin und fertigt dafür Frauenportraits auf Papier und vor allem auf Leinwänden an.

Seitdem stellt er weltweit aus und seine bunten unverkennbaren Portraits auf eher großformatigen Leinwänden sind von internationalen Sammlern gefragt. Für El Bocho steht aber fest, dass die Paste ups die Originale sind und die Leinwände eine Art Duplikat für den Innenraum.


Konzeptuell und dreidimensional

Neben den weitergeführten Frauenbildern und Characters, überrascht El Bocho zudem mit konzeptuellen Installationen und anderen Techniken im urbanen Raum. 2015 stellt er im Kunstverein Ludwigsburg aus und installiert ungenehmigt Skulpturen im Stadtraum, die mit der Zeit von weiteren Skulpturen ergänzt wurden durch Menschen aus der Umgebung. Den Künstler freut heute noch diese spontane Entwicklung und Inspiration, die seine Arbeit angeblich gestreut hatte. Im Rahmen einer weiteren Ausstellung in Deutschland ließ er das Wort „Ungenehmigt“ großflächig in den Rasen schablonieren. 2017 nahm er an der Ausstellung „The Haus“ in Berlin teil und entgegen aller Erwartungen schuf er in einem kleinen Raum eine minimalistische Installation mit einem in die Wand geritztem Spruch.

Durch die Lust an Neuem und seine Experimentierfreude mit neuen Ausdrucksmitteln, beschäftigt sich El Bocho seit 2017 auch mit der Bildhauerei und dem Bronzeguss. In Zusammenarbeit mit einem pensionierten Bildhauer und Professor, seinem Mentor, schafft El Bocho großformatige dreidimensionale Frauenköpfe und experimentiert weiter mit den Möglichkeiten der Bildhauerei.


Straßenaktivität

Doch immer wieder geht es El Bocho auch um die Intervention im urbanen Raum und um die Anregung durch Street Art, die sich an alle Menschen richtet und mehr Zuschauer erreicht als in Ausstellungen. Seit einigen Jahren hat sich jedoch auch die künstlerische Aktivität auf der Straße in Berlin verändert. Es interessieren sich zwar generell mehr Menschen für Street Art, in Berlin meist Touristen, aber die Flächen dafür schwinden, immer weniger Street Art-Künstler sind draußen aktiv, es ist mühsamer als früher, und vor allem: Es gibt keinen Nachwuchs in Berlin. Gerne würde El Bocho junge Künstler für Street Art unterstützen und begleiten, doch es scheint, als würde sich die jüngere Künstlergeneration zwar dafür interessieren, aber nicht aktiv werden lassen. Und das trotz der vielen spielerischen Möglichkeiten, die die Kunst im urbanen Raum bietet und laut El Bocho noch lange nicht ausgeschöpft sind.


Studio Visit, Dezember 2019


elbocho.net
fb.com/elbochoberlin
ig.com/elbochoberlin/

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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