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 „VANDALISM – A SOCIAL SCULPTURE“ 

, by Katia Hermann

Ein Projekt von Brad Downey in Berlin-Kreuzberg
Interview mit Jan Kage, künstlerischer Leiter 


Hallo Jan Kage, danke, dass Du Zeit findest!

Gerne, Katia Hermann!


Du bist der künstlerische Leiter von „VANDALISM – A SOCIAL SCULPTURE“, ein Projekt von Brad Downey, welches 2025 in Berlin umgesetzt wird und im Mai mit der ersten Phase begonnen hat. Kannst Du uns sagen, wann genau diese Idee entstanden ist, diese kurz beschreiben und seit wann ihr daran gemeinsam arbeitet?

Die Stiftung Stadtkultur hat Ende letzten Jahres sieben Künstler*innen eingeladen, Entwürfe zur künstlerischen Gestaltung der Fassade des Hauses Friedrichstraße 245a, in unmittelbarer Nähe zum Mehringplatz gelegen, einzureichen. Die einzigen Vorgaben waren, dass das Kunstwerk installativ und partizipativ sein soll.

Der Ansatz des amerikanischen Konzeptkünstlers Brad Downey ist kristallklar. Für ihn ist Graffiti die demokratischste Kunstform der Gegenwart, weil hier jeder mitmachen kann, egal ob von der Kunstakademie oder nicht. So hat er gemeinsam mit Künstler AKIM ONE gut fünfzig Graffiti Writer aus Berlin eingeladen, sich auf der Fassade zu verewigen. Denn das ephemere, das flüchtige Graffiti, das meist überstrichen oder gebufft wird und somit nach kurzer Zeit wieder verschwindet, wird von Downey in ein gefliestes Mosaik überführt. Und Mosaik existiert lange (siehe das Ischtar Tor im Pergamonmuseum).

So ist das entstehende Werk einerseits eine Hommage an die Berliner Graffiti-Szene und verweist andererseits auch auf Traditionen wie die großen Wandbilder des Sozialistischen Realismus in Ostberlin.



Wieviele Organisationen und Menschen sind denn organisatorisch beteiligt?

Das Projekt wurde von der Stiftung Stadtkultur ausgeschrieben. Hier sind wir zu viert im Kernteam. Brad Downey hat das Motiv mit Akim One und den 50 eingeladenen Writern geschaffen, dass nun in einer bulgarischen Fliesenbrennerei händisch auf zirka 1000 Fliesen übertragen und dann gebrannt wird. Diese werden dann im Sommer an der Fassade installiert.


Vandalism – a social sculpture, Sofia, Kai Tiles manufactory, Bulgarien, Juni 2025, ©Brad Downey


Für das Rahmenprogramm arbeiten wir mit vielen weiteren Akteuren. Die Mosaizistas aus Oberschöneweide leiten Mosaikworkshops in der unmittelbaren Nachbarschaft. Es gibt Kiezspaziergänge zu inhaltlichen Schwerpunkten wie Street Art und Graffiti, Architektur und Kulinarik, der Geschichte des Mehringplatzes, zu Orten des Widerstands und zu den Tieren, die dort leben. Diese Kiezspaziergänge werden von ausgesuchten Expert*innen geführt. Und  zur Einweihung des Kunstwerks werden wir am 19.9. ein Straßenfest veranstalten. Unsere Blockparty. Hier arbeiten wir unter anderem auch mit Outreach zusammen, die Jugendarbeit leisten und viel Ortskenntnis mitbringen.



Wollte Brad Downey unbedingt eine Wand in Kreuzberg für dieses Projekt? Wenn ja, warum?

Das musst Du ihn fragen. Brad Downey ist aufgrund seiner Biografie stark mit Berlin identifiziert. Hier in Kreuzberg ist sein Atelier. Hier hat er wesentliche Ausstellungen realisiert, seinen Katalog „Slapstick Formalism“ verlegt, hier kennt er viele Künstler*innen aus unterschiedlichen Szenen. Ich denke, diese Bezüge sind auf verschiedenen Ebenen von „VANDALISM“ reflektiert.


Wie viele Tage hattet ihr für dieses Bemalen mit einem Lift? Musstet ihr es nicht streng takten, damit sich alle dort verewigen können, die eingeladen waren? 

Drei Tage lang konnten Brad Downey und Akim One den Lift benutzen. Und diese drei Tage haben sie intensiv genutzt – von morgens früh bis spät in den Abend. Akim hatte dafür einen strikten Zeitplan erstellt, um die große Fläche zu gestalten.


Wie viel Zeit hatte denn jeder Graffiti Writer für sein Throw up/Piece?

Anfangs sollten es nur fünf Minuten sein. Letzten Endes dauerte es dann doch länger. Die rohe Energie, die ein schnell gesprühtes Piece ausstrahlt, war Akim sehr wichtig.



Originell ist ja, dass keine einzige Stelle frei geblieben ist. Manche habe sich dafür senkrecht mit ihrem Schriftbild platziert. War das so geplant oder ist es Freestyle entstanden?

Ja, das war geplant. Brad Downeys Konzept war die Imitation der mit Graffiti gestalteten Wände, bei denen die Writer ein stehendes Baugerüst nutzen und wo die Laufbretter des Gerüsts als Zeilen auf der Wand fungieren.



In einem Artikel steht, dass Brad Downey Graffiti als eine der demokratischsten Kunstformen versteht, da sie niedrigschwellig zugänglich und potenziell von jeder und jedem betrieben werden kann. Teilst Du auch seine Meinung? Ist Graffiti Writing/Style Writing für Dich auch eine Kunstform?

Graffiti ist auf jeden Fall eine künstlerische Ausdrucksform. Ob im Ergebnis jedes Piece ein Kunstwerk ist, mögen Kunsthistoriker*innen entscheiden. Ich kenne auch Writer, die ihr Schaffen als Schmiererei definieren. Hier verwischen die Grenzen zwischen Kunst und Grassroots-Politik. Graffiti wird ja oft auch als individuelle Aneignung des sonst kommerziell bespielten öffentlichen Raums interpretiert. Und hier, im öffentlichen Raum entfaltet es auch seine größte Wirkung. Auf Leinwand in der Galerie wirkt es hingegen selten kraftvoll.


Warum wurde für das Projekt der negativ besetzte Titel Vandalism ausgesucht?

Das ist ein doppeltes Spiel mit der Rezeption von Graffiti. Ein Teil der Bevölkerung sieht allein die Sachbeschädigung, den Vandalismus. Der andere erfreut sich an den Farben und Styles.


Der Untertitel des Projektes „A Social Sculpture“ ist eine Referenz an Joseph Beuys soziale Plastik, der in seiner Erweiterung des Kunstbegriffes erklärte, jeder Mensch sei ein Künstler. Die soziale Plastik, auch genannt die soziale Skulptur, ist ein kunsttheoretischer Begriff zur Bezeichnung von Kunst, die den Anspruch verfolgt, auf die Gesellschaft gestaltend einzuwirken. Gesellschaften, Aktionen und Prozesse, in denen Menschen kreativ die Verhältnisse verändern und sie formen, werden ebenfalls so bezeichnet. Auf der Grundlage eines erweiterten Kunstbegriffs nutzte Joseph Beuys diese Begriffe, um damit seine Vorstellung einer gesellschaftsverändernden Kunst zu erläutern. 
Glaubst Du, dass  „VANDALISM – A SOCIAL SCULPTURE“ gesellschaftsverändernd wirken kann?

Unbedingt. Zum einen bildet sich auf der Wand Gesellschaft ab. Ein spezieller Teil der Gesellschaft, ein relevanter Teil der Berliner Graffiti-Szene nämlich. Diese hat die Stadt und ihr Aussehen in den vergangenen Jahrzehnten markant mit-geprägt, ihr einen internationalen Ruf als Graffiti-Hochburg verschafft. Und dieses Werk selbst wirkt in den Raum. Das tut es jetzt schon, wo wir nur das gesprühte Motiv und noch nicht das fertige Mosaik sehen. 

Das Feedback ist überwiegend positiv, von Passanten bis zum Leiter des Denkmalschutzes. Und dann gibt es auch kritische Stimmen, aber die sind glücklicherweise in der absoluten Minderheit. Wir nehmen diese ernst, können am Ende aber auch nur konstatieren, dass Kunst im öffentlichen Raum niemals allen gefallen kann. Dafür sind die Geschmäcker zu verschieden.



Parallel zur kollektiven Bemalung der Großfassade wurde eine kleinere, ebenerdige Wandfläche mit Interessierten wie Anwohner*innen gestaltet. So kann die Mosaiktechnik selbst ausprobiert und angewandt werden. Ist denn diese Wandfläche schon voll?

Der Workshop der Mosaizistas stieß auf so reges Interesse und Teilnahme, dass wir sie gleich für zwei weitere dieser Workshops gebucht haben. Einmal am 8.7. und dann zur Blockparty am 19.9..


Insgesamt erstreckt sich die Umsetzung des Kunstwerks an der Großfassade über mehrere Phasen zwischen Mai und September 2025 – begleitet durch verschiedenste Aktionen vor Ort in diesem Zeitraum. Wer hat denn das Programm kuratiert und was für verschiedene Aktionen gibt es denn noch?

Das Rahmenprogramm hat das Team der Stiftung Stadtkultur zusammengestellt und organisiert. Alle Infos findet man auf ihrer Webseite.


Hat man denn noch eine Chance bis September 2025 etwas mitzugestalten?

Ja, bei den Mosaikworkshops am 8.07. und am 19.09.!


Und da fällt mir ein: seit wann kennst Du Brad Downey eigentlich?

Wir kennen uns nun seit 20 Jahren. Wir lernten uns auf der Ausstellung Backjumps-The Live Issue #02 im Künstlerhaus Bethanien 2005 persönlich kennen. Er hatte dann sein Atelier im Bethanien. Seitdem stelle ich Brad Downey’s Arbeiten regelmäßig aus. Ob in Gruppenausstellungen in meinem Projektraum SCHAU FENSTER, oder in meiner ehemaligen Galerie Kanya Kage. dort hatte er in den letzten sieben Jahren vier Einzelausstellungen und das Book release seiner wichtigen Monografie „Slapstick Formalism“.

Danke Jan und viel Erfolg für das noch laufende Projekt!


www.stiftung-stadtkultur.de/aktuelles


Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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