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POPAY (FR) – Graffiti Writing, Illustration, Figuration libre

, by Katia Hermann

Die Wurzeln

POPAY (Juan-Pablo de Ayguavives) ist ein Graffiti Writer, Maler und Illustrator, der in Paris lebt und arbeitet. Geboren 1971 in Barcelona, Sohn eines Architekten, wuchs POPAY in Paris auf und begann schon in jungen Jahren mit dem Zeichnen von Comics, bevor er 1986 seine Kunst auf die Straße brachte und 1987 mit KISTER Graffiti Writing entdeckte. POPAY war Mitglied mehrerer Crews und gründete die MST-Crew 1986, THC im Jahr 1987, wurde Mitglied von P2B, PCP, gründete Fiv5 in den 90er Jahren und trat nach 2000 der Crew GM bei. Durch das, was er selbst als „die Kunstschule der Straße“ bezeichnet hat, entwickelte POPAY zunächst verschiedene Schriftzüge, mit Drippings, Melting, vereinheitlichende Formen und figurative Elemente, wie große menschliche Köpfe und seltsame Figuren. Er war einer der ersten, der Characters mit Volumen sprühte und besonders dünne Linien zog, indem er den Druck auf die Sprühdose kontrollierte. Sein früher, herausragender, farbenfroher, figurativer Stil inspirierte viele andere Graffiti-Writer, die ihn bis heute als eine der wichtigsten Figuren der zweiten französischen Writer-Generation betrachten.

Neben Graffiti prägte ebenfalls die Kultur der Comics und Zeichentrickfilme in Frankreich POPAY’s Kindheit und beeinflusst seinen Stil. Seine Kunst wird zudem stark von Musik geprägt. Der Psychadelic Rock von Jimi Hendrix und der Techno-Sound von Spiral Tribe inspirierten ihn zum Beispiel für den Fluss der Gesten beim Malen kalligrafischer Arbeiten, laut POPAY. Das selbstständige Studieren der Kunstgeschichte und Entdecken der Malerei führte zu Einflüssen von mittelalterlichen Gemälden, alten Meistern und klassischer Malerei. Aber auch Goya, afrikanische Kunst, moderne Skulptur, Picasso, Lowbrow und Figuration libre mit Combas sowie die Arbeit von H.R. Giger zitiert POPAY als Inspirationsquellen.

In seinem Atelier skizziert, zeichnet und malt POPAY seit den 90er Jahren auf Papier und Leinwand mit Feder, Tusche, Bleistift, Sprühdose, Airbrush und Acrylfarbe. Während des Malens in verschiedenen Ateliers und Künstlersquats, erhält er zunehmend Aufträge für Illustrationen. Mit der grafischen Palette beginnt er 1992, als er am Film „Die Stadt der verlorenen Kinder“ von Jeunet und Caro bei DUBOI arbeitet. Das Erlernen dieser neuen Technik sowie seine Forschung im Bereich des künstlerischen Ausdrucks haben ihn dazu gebracht, auch digitale Malerei zu schaffen, die es ihm ermöglichten, seine Bilder in unbegrenzten Auflagen zu drucken, um sie für viele zugänglich zu machen.



Die Welt von POPAY

Das Werk von POPAY ist vielfältig, großzügig, dicht und intensiv. Trotz einer ausgefeilten Maltechnik bleibt sein Werk spontan und emotional, wobei die Geste für den Künstler wesentlich ist. POPAY mischt Realismus und Fantasie und erschafft verwirrende, teils chaotische Szenen, in denen eine Geschichte zu lesen ist und viele Details zu entdecken sind. Sein Universum lädt uns in einen organischen Dschungel aus Farben und biomorphen Volumen ein, der von seltsamen Kreaturen bevölkert wird, die aus düsteren Märchen zu stammen scheinen. Seine menschlichen, großköpfigen Figuren mit kleinen Gliedmaßen sind ausdrucksstark und verstörend. Seine imaginierten Szenen sind oft beunruhigend und stellen das Leben des physischen wie auch des sozialen Körpers in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Seine Farbpalette besteht meist aus satten Farben. Er verwendet dunkle und akzentuierte Outlines und schafft skulpturale Volumen für seine Figuren, arbeitet mit dichten und kräftigen Farben – dominiert von Blau, Grün, Rot, Orange und Violett. POPAYs üppige Szenen sind für den Betrachter eine visuelle Herausforderung, es braucht eine gewisse Zeit, um alles zu erfassen, und die Geschichte und den Sinn der Bilder zu versuchen zu entschlüsseln.



In einigen seiner Werke aus dem Jahr 2000 löst er figurative Formen auf und abstrahiert, indem er Ansammlungen von detaillierten, einfachen biomorphen Elementen schafft, die lebendig und in Bewegung zu sein scheinen. POPAY’s bio-organischen Freestyle aus der Phase stammt aus der Graffiti Writing Kultur, und war eine Art Mischung von Aspekten von frühen Kompositionen von JonOne und Giger’s Biomechanik, laut ihm. Daraus entwickelt er den bio-organischen Stil, sowohl auf Wänden als auch auf Leinwänden, ohne Perspektive, wie gemalte Basreliefs, ineinander schlingende Formen, oft mit kräftigen Farben wie rot. POPAY arbeitet in seiner Malerei wie ein Kolorist, meistens direkt mit der Farbe und schafft Bilder, die sich in einer Art Raster auf der Leinwand entwickeln, und durch den Prozess, der Transformation, von innen nach außen wachsen. Manchmal hält er verschiedene Stadien seiner Arbeit in Fotografien fest, um Momente der Transformation und spontane Schöpfungsstadien festzuhalten. Neben der Malerei ist seine erste künstlerische Praxis als Kind, die Zeichnung, weiterhin sehr präsent und das Skizzieren in seiner Suche nach neuen Ausdrucksformen grundlegend. Seine grafischen Arbeiten wie Originalzeichnungen, Drucke und Illustrationen sind ein wichtiger Teil seines künstlerischen Schaffens.



Die Serie der Stadtlandschaften

Seit 2016 malt POPAY Serien von Stadtansichten, die mit frontalen Ansichten von Gebäudefassaden begannen. Später hatte er das Bedürfnis, Städte zu erschaffen und diese mit Leben und Verkehr zwischen den Gebäuden darzustellen. Die Autos, Menschen oder Tiere eilen durch die Straßen, manche stehen auf den Gebäuden, und sind in verschiedenen Maßstäben dargestellt. Diese fantastischen Bilder sind voller Details und erinnern an das Prinzip der Wimmelbuchbilder. Als Ausschnitte von Stadtlandschaften sind sie mit einer axonometrischen Perspektive aus der Aufsicht gemalt. Diese Perspektive, die oft in Videospielen für Aufsichten verwendet wird, ermöglicht es, den gleichen Maßstab beizubehalten und einen endlosen Horizont zu schaffen. Inspiriert von Comics, dem argentinischen Maler Antonio Seguí und der deutschen Pixel-Art-Gruppe Eboy, erfindet POPAY seine eigene Vision von bevölkerten Stadtlandschaften. Das deutsche Kollektiv Eboy aus den 90er Jahren schuf digitale Bilder, bei denen die Motive der einzelnen Mitglieder am Ende wie ein Puzzle zusammengefügt wurden. Diese Puzzle-Idee findet man in POPAY’s geometrisch-graphischer Malerei wieder, die er seit 2018 auf Wände und Leinwand bringt. Auf der Basis von minimalen Würfeln und Linien hat er die Struktur von Stadtansichten beibehalten und spielt mit der Konstruktion und dem Zusammensetzen von sich wiederholenden Formen. Die Bewegungen und die Dynamik der Ausrichtungen der Kuben und Linien, ungerade und unregelmäßig, mit Maßstab-Verschiebungen entwickeln sich auf der Wand/Leinwand auf organische Weise, schaffen Kurven, Höhen, Tiefen und Reliefs wie in einer Landschaft. Mit der Wiederholung eines Motivs wie auf Tapeten, sagt POPAY, aber mit Variationen, werden die Volumen-haften Formen wie Teile eines Puzzles zusammengesetzt und schaffen eine imaginäre Ansicht einer Landschaft. Für den Künstler enthalten sie Gegensätze und Harmonie, das vom Menschen geschaffene Künstliche, symbolisiert durch die Würfel, und die Natur präsent durch natürliche Linien. Die Würfel deuten eher auf Häuser oder Felder hin, die Linien sind vielleicht Flüsse oder Wege. POPAY möchte die menschliche Entwicklung, den Prozess der Urbanisierung mit dieser Sichtweise Mosaik- und Molekular-artig vermitteln. Und auch wenn diese Arbeiten ungegenständlich sind, erinnern sie durch die Art der Darstellung, der Farbpalette und der besonderen Sichtweise an die figurativen Werke des Künstlers.



Die menschliche Gesellschaft

Die Arbeiten von POPAY lassen den Betrachter meist nicht unberührt. Seine Kunst ist laut ihm nicht dazu da, um zu gefallen, sondern eher um zu verstören, irritieren und aufzurütteln. Hinter dem teils bizarren, komischen, aber auch geheimnisvollen und teils beunruhigenden Charakter seiner Werke, verbirgt sich die Sensibilität des Künstlers, der durch seine Kunst eine ganz eigene, phantasievolle Vision der Welt zum Ausdruck bringt. Während er sich in gewisser Weise gegen die menschliche Gesellschaft, wie soziale Ungerechtigkeit, das Elend, die Lüge und die menschliche Mittelmäßigkeit in seiner Kunst auflehnt, erinnern uns einige seiner figurativen Werke an Gegensätze im Leben, wie Groß und Klein, Schönheit und Hässlichkeit, Angenehmes und Unangenehmes, Vernunft und Wahnsinn, Glück und Traurigkeit und damit auch an die Conditio humana. Seit über 30 Jahren überrascht POPAY immer wieder mit seiner expressiven Bildsprache, neuen Serien und ungewöhnlichen Werken, die ihn mit seinem provokativen und ausdrucksstarken Stil zu einem herausragenden figurativ arbeitenden Post-Graffiti-Künstler der frühen Graffiti-Generation aus Frankreich machen.



https://popay.fr

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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