Interview mit Julia Benz im Rahmen der the Wall+ Mural-Gestaltung
Kannst du dein Projekt kurz beschreiben?
Mein Beitrag bei the WALL+ versteht sich als malerischer Eingriff in den urbanen Raum. Ich denke Malerei nicht nur als Bild, sondern als räumliche, körperliche Erfahrung. Die Wand ist für mich eine Erweiterung der Leinwand – ein Ort, an dem sich Farbe, Bewegung und Raum verdichten. Was im Atelier eine intuitive Geste mit dem Pinsel ist, wird hier zum physischen Akt, zur Choreografie im Maßstab der Architektur.
Inhaltlich nähere ich mich der Wand oft über bestehende Leinwandarbeiten, fragmentiere oder übersetze sie in neue Kontexte. Dabei verstehe ich meine Arbeit als eine malerische Erkundung von Raum. Mein Ziel ist es, Orte sensibel zu bespielen und visuelle Momente zu schaffen, die sich zwischen Bewegung, Farbe und Atmosphäre entfalten.




Wie bist Du zur Kunst gekommen?
Ich bin über die Malerei zur Kunst gekommen. Ich habe klassisch studiert und komme aus der bildenden Kunst. Malerei war für mich von Anfang an ein Werkzeug, um Wahrnehmung zu hinterfragen und Räume zu erschaffen – sowohl emotionale als auch physische. Zunächst habe ich Kunst und Mathematik auf Lehramt studiert, bevor ich mich ganz der freien Malerei gewidmet habe – erst in Düsseldorf, später dann in Berlin.


Wie bist du zum Graffiti/Urban Art gekommen, und welche Einflüsse haben dich geprägt?
Ich komme ursprünglich nicht aus dem Graffiti – mein Hintergrund liegt in der klassischen Malerei. Als ich nach Berlin gezogen bin, haben mich Freund*innen aus der Urban Art Szene einfach mal mitgenommen: „Komm, wir bemalen draußen eine Wand.“ Das war für mich ein Schlüsselmoment. Ich war fasziniert von der Freiheit, den Dimensionen und der Direktheit dieser Praxis.
Seitdem interessiert mich besonders der Übergang – das Übersetzen malerischer Strategien aus dem Atelier in den öffentlichen Raum. Inzwischen bewege ich mich in einem hybriden Feld, zwischen Contemporary Painting und Urban Art. Diese Schnittstellen finde ich spannend: zwischen Studio und Straße, zwischen Ausstellungskontext und gelebtem Alltag. Es geht mir nicht darum, mich einer Szene unterzuordnen, sondern darum, Räume zu öffnen, neue Formate auszuprobieren und Malerei über ihre klassischen Grenzen hinaus weiterzudenken.
Was hat dich an dem theWALL⁺ Projekt gereizt bzw. interessiert, daran teilzunehmen?
Was mich an the WALL+ besonders gereizt hat, ist die Offenheit des Projekts. Hier treffen künstlerische Ansätze aus ganz unterschiedlichen Richtungen aufeinander – mutig, interdisziplinär, ohne klassische Kuratierung, sondern mit Raum für individuelle Positionen.
Und natürlich der Ort selbst: das Gängeviertel. Für mich ist das mehr als nur eine Location – ich durfte 2014 bereits für einen Monat im Atelier dort arbeiten. Es war ein prägender Moment und ist Teil meiner Geschichte. Deshalb hat es sich sehr stimmig angefühlt, jetzt wieder dorthin zurückzukehren und in diesem besonderen Kontext zu arbeiten.
Was bedeutet „Style“ für dich und wie würdest du deinen eigenen Stil beschreiben?
Style ist für mich vor allem eine Haltung – eine innere Konsequenz in dem, wie ich denke, sehe und arbeite. Mein Stil ist malerisch, vielschichtig und körperlich. Mich interessiert, wie Farbe Räume aufbrechen oder öffnen kann, wie durch rhythmische Schichtungen Atmosphären entstehen.
Jede Wand ist dabei ein neues Gegenüber, eine Oberfläche mit eigener Geschichte. Ich versuche, meine Malerei so in den Raum einzuschreiben, dass sie Teil des Ortes wird – nicht als bloße Intervention, sondern als Resonanz. Sie soll sich einfügen, ohne sich anzupassen. Auffallen, ohne zu dominieren.
Was oder wen siehst du aktuell nicht in “der Kunstszene” bzw. was fehlt dir?
Mir fehlen komplexe Biografien – oder vielmehr: der Raum, sie sichtbar werden zu lassen. Viele Künstler*innen bewegen sich heute zwischen Genres, Disziplinen und Lebensrealitäten. Aber die Kunstszene tut sich oft schwer damit, solche Zwischenräume anzuerkennen.
Mich interessiert nicht nur das Werk, sondern auch das Wie des Künstler*innenseins. Ich male – egal ob auf Leinwand oder Wand, ob klassisch oder urban. Was zählt, ist die Farbe, das Gefühl und was sie im Gegenüber auslöst.
Ich bin müde von Schubladen und Dogmen. Graffiti wird in der Kunstwelt oft noch belächelt – gleichzeitig gelten Künstler*innen mit klassischer Ausbildung in der Urban Art Szene als fremd. Warum eigentlich? Ich finde: Wir brauchen mehr Offenheit, mehr Mut zur Vielstimmigkeit, mehr Raum für Übergänge.
Die Kunstwelt und auch die Welt des Graffiti/Urban Art ist immer noch männlich dominiert. Insbesondere scheint das Brückenschlagen zwischen Künstlerinnendasein und Mutterschaft eine besonders große Herausforderung zu sein. Wie hat Dich das in deinem bisherigen Werdegang geprägt und wie gehst Du aktuell damit (als Rolemodel auch für andere Künstlerinnen und weibliche Graffitiartists/Urbanartists) um?
Ich möchte ein Vorbild sein, auch wenn ich gleichzeitig große Ängste habe – aber ich bringe auch unglaublich viel Mut auf. Es ist mir wichtig zu zeigen, dass Muttersein keinesfalls das Ende einer Künstlerinnenkarriere bedeutet. Schon während meines Kunststudiums hörte ich immer wieder Sätze wie „Wenn du Mutter wirst, ist deine Karriere vorbei“, und das hat mich natürlich beeinflusst. Jetzt, als frischgebackene Mutter seit drei Monaten, bin ich stolz darauf, bereits Projekte wie dieses umsetzen zu können und dennoch weiterhin neue Anfragen zu erhalten.
Mein Motto lautet daher: „Jetzt erst recht!“ – und das hat mir einen echten Schub gegeben. Es hat meine Prioritäten neu ausgerichtet und ich arbeite heute noch fokussierter.
Mein Werdegang hat mich sehr geprägt, und immer wieder kämpfe ich damit, ernst genommen zu werden. Häufig erlebe ich, dass Projekte doch an meine männlichen Kollegen vergeben werden und oft höre ich den Satz: „Wir brauchen noch eine Frau für das Projekt.“ Ich arbeite intensiv daran, nicht mit einer vorgefertigten Erwartungshaltung in Projekte zu gehen, sondern mich vielmehr darauf zu freuen, wenn mich vor allem meine Kollegen unterstützen.
Welche Ziele oder Träume hast du für deine Zukunft als Künstlerin?
Es ist ein riesiges Privileg, das machen zu dürfen, was ich liebe. Mein großer Traum ist es, eines Tages eine institutionelle Ausstellung umzusetzen – in einem Museum oder einer bedeutenden Kunsthalle. Ich möchte Werke schaffen, die langfristig Wirkung zeigen und Diskussionen anstoßen. Außerdem wünsche ich mir, wieder mehr international zu arbeiten, mit anderen Künstler*innen zusammenzuarbeiten und Netzwerke zu stärken, gerade auch für Frauen in der Urban Art. Ich träume davon, Räume zu bespielen, die normalerweise nicht für Kunst gedacht sind – und Menschen zu erreichen, die sich sonst vielleicht nie mit Kunst beschäftigen würden.
Welche aktuellen Projekte hast du in der Pipeline?
Ich habe gerade ein großes Installationsprojekt in Berlin abgeschlossen sowie ein weiteres Projekt im Bereich Kunst im öffentlichen Raum hier in Hamburg. In den kommenden Monaten freue ich mich auf intensivere Zeit im Atelier, um neue Arbeiten zu entwickeln. Aktuell bereite ich mich auf die Enter Art Fair in Kopenhagen vor. Neben der Kunst genieße ich auch die Zeit mit meinem Baby – beides in Einklang zu bringen ist herausfordernd, aber unglaublich erfüllend.






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