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STOHEAD – Der beherrschte spontane Malgestus

, by Katia Hermann

STOHEAD (Christoph Häßler) wurde 1973 geboren und wuchs in Süddeutschland in einer Crossover-Szene aus den Bereichen Punk, Skateboarding, Hip Hop und Graffiti auf und begann nach seinen ersten Tags 1989 mit Style Writing. Er konzentrierte sich damals für seine Pieces neben dem Lettering zunehmend auf Characters und urbane Landschaften. Gut vernetzt, malte er auf vielen Jams und Festivals. 1998 griff STOHEAD zu seiner ersten Leinwand, malte vorerst mit der Sprühdose, dann probierte er andere Materialien und Techniken aus, wie z.B. Acryl. 1999 lebte STOHEAD in Hamburg und trat der Künstlergruppe GETTING UP bei. Er entwickelte mit DAIM, Daddy Cool und Tasek die Ausstellungsreihe „Urban Discipline“ in den Jahren 2000, 2001 und 2002. Es waren die ersten großen Ausstellungen dieser Art in Deutschland mit internationalen und nationalen Künstlern aus dem Graffiti Writing und dem Bereich Urban Art, ein Begriff der damals noch gar nicht gängig war. „Urban Discipline“ öffnete neue Wege und inspirierte viele Menschen neue Ausstellungs-Plattformen für diese Kunst zu gründen, ob in Deutschland oder in anderen Ländern.


Kalligraphische Malerei bis zur Abstraktion

In den folgenden Jahren malt STOHEAD immer mehr auf Leinwand und entwickelt seine heute „klassischen“ kalligraphischen Arbeiten für die er bekannt ist und unter die Kunst des „Calligraffiti“ oder der „Urban Calligraphy“ fallen. Wörter, Sätze, Zitate von Songtexten, gemalt im gestischen „round tip dripping tagging style“. Sie spiegeln oft die Stimmung des Künstlers in dem Moment des Schaffens der Leinwand wider. Auf der quadratischen Leinwand reiht er die Wörter ohne Zwischenräume und grammatisch korrekten Umbrüchen an, die die Lesbarkeit erschweren aber als pure Formen gesehen seine Handschrift, den Malgestus – den lebhaften Schwung oder Swing, wie der Künstler es selbst nennt – sehen und fühlen lassen. Seine kalligrafische Arbeit basiert auf der Wirkung von gemalten Wörtern und dem visuellen Effekt auf einem meist einfarbigen Hintergrund. Durch die Arbeit mit Kontrasten, Schwarz und Weiß, mit kalten und warmen Tönen, werden die dicken, tropfenden Pinselstriche der Buchstaben zu Mustern. Durch die Anordnung der Buchstaben, Proportionen, Farbkontrasten und sichtbaren Gestus, schafft STOHEAD Kompositionen mit Rhythmus, die in einem harmonischen Gleichgewicht zu schweben scheinen, zeitlos und enigmatisch.

In späteren Werkreihen schafft er den Übergang von der Kalligraphie zur abstrakten Malerei. Über die Entwicklung seiner Malerei und zu der Serie „Liquid Smokes“ äusserte er 2014 im Katalog seiner Ausstellung „NOW“ in der Pariser Galerie Le Feuvre: „Als ich in den 90er Jahren klassische Graffiti Pieces gemalt habe, gab es einen großen Trend die Pieces in die dritte Dimension zu überführen. Meine Buchstaben wurden quasi organisch und ich habe sie in der Tiefe aufgeblasen und gedehnt. Später reiste ich zurück aus dem Räumlichen und konzentrierte mich wieder auf 2D-Buchstaben und die reine Form – die Tags, die meine Leidenschaft entfachten und mich vom ersten Tag an begleiteten. An diesem Punkt entstanden auch meine ersten kalligraphischen Arbeiten auf Leinwand. Heute reise ich zurück in das Räumliche, um neue Dimensionen und Ebenen für diese Art von Kunst zu finden. Die Buchstaben werden gelöscht, zerlegt und tauchen gleichzeitig in diesen Gemälden auf. Versteckt in den nebligen Stäuben und Flüssigkeiten ist der Prozess neue Striche und Typen zu schaffen – eine tägliche Praxis, die man braucht, um die wunderbare Kunst der Kalligraphie auszuüben.“

Neben der Arbeit im Atelier zieht es STOHEAD immer wieder in den Außenraum an die Wand. Denn der Graffiti Writer und Maler hat in über 30 Jahren Schaffenszeit unzählige Murals gemalt und freut sich immer wieder auf die Herausforderungen dieser „Disziplin“ im monumentalen Format, die den Künstler durch ganz andere Bedingungen herausfordert.


Jeder Strich muss sitzen

Im Laufe der Jahre lösen sich die Buchstaben in vielen Werkreihen STOHEADS immer wieder auf und werden abstrakter. Es ist die Dekomposition des Lettering. Und doch bleibt der Bezug zur Handschrift auch in diesen Arbeiten bestehen. „Written abstraction“ oder „geschriebene Bilder“ nennt er diese gerne. Es geht um Handschrift als Basis des Malgestus, auch wenn man eventuell keine ersichtlichen Buchstaben lesen kann. STOHEAD schafft seit Jahren sein eigenes Werkzeug zum Malen, um neue Formen, Farbschichten, Transparenzen, Strukturen und Materie zu schaffen. Bei dem Gestus wie beim Schreiben geht es auf dem präparierten Hintergrund um das Beherrschen jeden Strichs, jeder Farbspur, ob mit Pinseln, Schwämmen, „round Tip tools“ oder anderen selbstgebauten Malutensilien. Der Aufbau von Schichten und die Interaktion der Farbe mit dem Malgestus bieten dem Künstler eine erwünschte Spannung für das Malen an sich. Denn er sieht bei jeder neuen Leinwand nur eine Chance für die malerische Performance, denn jeder Strich, jede dabei entstehende Form auf dem präparierten Hintergrund muss beim ersten Mal „sitzen“. Denn sie kann nicht korrigiert werden. Die damit verbundene Spannung vergleicht der Künstler mit Bogenschießen. Der Körpereinsatz ist dabei extrem wichtig und nicht nur die Geste aus dem Arm und der Hand muss stimmen. STOHEAD malt zudem auf großen Leinwänden, die auf dem Boden liegen. Mit einer selbstgebauten Brücke kann er alle Stellen der Leinwand von oben gut erreichen und muss dabei seine Körperhaltung und Gestik besonders gut kalkulieren. Trotz Skizzen und Planung im Vorfeld, entsteht doch ein nicht unerheblicher Anteil eines Werkes völlig intuitiv. Während des Malprozesses trifft der Künstler bestimmte Entscheidungen, instinktiv und mit emotionaler Spontaneität, denn dies macht seine Malerei ebenso aus wie die von ihm entwickelten und beherrschten Techniken. Ein Zusammenspiel unterschiedlichster Arbeitsweisen und Stile, immer auf der Suche nach Balance und Harmonie.

Die Farbpalette für eine Arbeit is oft begrenzt gehalten, die Farben sind meist intensiv, leuchtend und kontrastierend. Seine Malerei ist handwerklich anspruchsvoll so wie auch die Materialien, die er verwendet. Hochwertige Pigmente und Farben, Lack mit UV-Schutz machen die Werke besonders nachhaltig, also langlebig. Vor allem soll die Malerei aber anspruchsvoll an ihn selbst bleiben, denn STOHEAD sucht immer neue Herausforderungen mit der Malerei per se, erneuert seine Kunst über die Jahre immer wieder durch neue, überraschende Werkreihen ohne jedoch dabei seine künstlerische Identität zu verlieren.


Bezug zu Fotografie und Musik

Eine begleitende Aktivität für sein Schaffen ist die Fotografie, die STOHEAD ebenfalls praktiziert. Fotografie, um Bilder und Kompositionen zu schaffen. Ausschnitte vom Leben, festgehaltene Momente, die auch Emotionen wecken können. Den Bezug zu seiner Malerei beschreibt STOHEAD folgendermaßen: „Ich übersetze Emotionen in Bilder. Ich male das, was mein Geist aus visuellen oder emotionalen Eindrücken hervorrufen kann. Beim Mischen, Trocknen, kleben oder einfach nur schichtweise auf den Atelierboden tropfend, erscheinen die verschiedenen Materialien, die ich zum Malen verwende, oft in schönen organischen Strukturen – aufgrund ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit. Bevor sie verblassen, könnte ich Fotos von den Gläsern, Tassen, Eimern, Wänden und all dem Zeug machen, in denen ich diese Kreationen sehe – gemacht durch die Naturbeschaffenheit ihrer Chemie und aufgrund all der Parameter der Zeit und den Elementen. Und manchmal mache ich das auch. Vielleicht wird es eines Tages eine Ausstellung dieser Fotos geben. Aber ich bin Maler, kein Fotograf. Auch wenn diese visuell charakteristischen Kunstformen so viel gemeinsam haben. Denn um sie auszuführen, braucht man ein geschärftes Auge.“

Aktuell läuft die Ausstellung „Alphabet Street“ in Münster und präsentiert einen Querschnitt seines Schaffens der letzten Jahre. Der Kurator Jan Kage weist hier auf den Zusammenhang von Musik mit STOHEADS Arbeiten auf: „Der Titel der Ausstellung ist einem Lied des Musikers Prince entliehen. Insofern passend, als dass Lieder nicht allein als Textquelle für STOHEADS Bilder dienen. Denn Musik und (abstrakte) Malerei haben viele Parallelen, die sich auch in STOHEADS Bildern und Schaffen finden lassen. Rhythmus, Struktur, Komposition, Harmonie, Farbe, Schwung, Geist und Handwerk – um nur ein paar zu nennen. Auch STOHEADS Wort Swing, ist dem Jazz, also der freien, improvisierten Musik entlehnt. „It don’t mean a thing if it ain’t got that swing“, wie es in einem von STOHEAD auf Leinwand zitierten Lied von Irving Mills heißt.“


STOHEAD wird von mehreren Galerien repräsentiert wie in der Schweiz seit Jahren von der Speerstra Gallery in Genf, in Frankreich seit einigen Jahre von der Galerie Le Feuvre & Roze in Paris, und in Deutschland seit 2019 von der Galerie Ostendorff in Münster, eine Galerie für moderne und zeitgenössische Kunst, die über 125 Jahre alt ist. Dort ist nun STOHEAD als einziger Urban Art-Künstler vertreten, neben modernen Meistern wie Chagall, Dali und Picasso und berühmten zeitgenössischen Künstlern wie Andy Warhol, Joseph Beuys und Gerhard Richter, eine Seltenheit für Urban Art Künstler.


stohead.com
dasarty.com/alphabet-street
instagram.com/stohead/


Arte – 5 Minutes – With Stohead

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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