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#StillStand – Interview mit dem Duo Arbeitstitel

, by Bart Van Kersavond

Über das Projekt #StillStand

In der Krise – im Stillstand – stehen wir (KünstlerInnen) immer noch!

Ein Projekt der Urban Spree Galerie und Señor Schnu in Berlin

Die Urban Spree Galerie in Berlin ist eine der international bekanntesten Adressen für Urban Art in Deutschland seit 2012. Die Künstler Residenz, der Ausstellungsraum, die Buchhandlung & Shop sowie Konzertraum und Biergarten waren nun durch Corona komplett geschlossen.

Zu jeder stattfindenden Ausstellung wurde über die Jahre die 120m2 große Wand eines der Gebäude, die zur Warschauer Brücke zeigt, von KünstlerInnen gestaltet. Darunter international bekannte KünstlerInnen, wie z. B. 1UP, ABOVE, Broken Finger Crew, DAZE, HONET, Jim Avignon, M-City, Mode2, Rylsee, Twoone, Victor Ash, ZEVS, Marina Zumi und viele mehr.

Diese in Berlin bekannte Wand wird nun in Zeiten von Corona –  in der KünstlerInnen kaum Möglichkeiten haben auszustellen und für Projekte zu produzieren –  durch einen Open Call Berliner KünstlerInnen die Chance geben sich im Freien, in Großformat, zum Thema Corona und Kunst auszudrücken, und kollektiv produktiv und kreativ voranzugehen, um den absoluten Stillstand zu verhindern. Dabei findet jedoch keine Veranstaltung statt.

Durch eine 5-köpfige Jury bestehend aus dem Leiter des Urban Spree, Pascal Feucher, dem Initiator und Künstler Señor Schnu, sowie den KünstlerInnen Johannes Mundinger und Julia Benz, sowie der Kunsthistorikerin Katia Hermann, wurden Mitte Mai 2020 vier KünstlerInnen auserwählt. Bei der Auswahl wurde auf den Themenbezug, Originalität, Qualität, Machbarkeit, Stilrichtung sowie auf Parität geachtet.

Alle 10 Tage wird nun von Mai bis Juli auf den 120m2 eine neue Arbeit entstehen. Die Murals werden durch Fotografie, Drohnen-Aufnahmen und Videodokumentation in einer Online Ausstellung im Internet und social media durch die Urban Spree Galerie präsentiert. Als Passant kann man lediglich von der Brücke aus die Werke  von Weitem sehen.

Das Projekt wird von Molotow, Pandemic Healing Arts, Neis Design BLN, We did nothing wrong e.V., Dämmisol, Cosmopola, Urbanpresents, Urban Spree Galerie, Lauritz Kurth, Katia Hermann und Anette Mischler unterstützt.

Die auserwählten KünstlerInnen sind (in der Reihenfolge der Produktionen): HowtokillaGraffiti, Ida Lawrence, Coco Bergholm und das Duo Arbeitstitel.

Die erste Produktion startete der Künstler HowtokillaGraffiti, die er innerhalb von vier Tagen vollbrachte. Seine Wandmalerei war bis 5.06.2020 zu sehen. Dann startete die australische Künstlerin Ida Lawrence und produzierte ihre Wandmalerei in fünf Tagen. Ihr Mural war bis 18.06.2020 zu sehen. Die dritte Arbeit lieferte die Künstlerin Coco Bergholm innerhalb von sechs Tagen und war bis 2.06.2020 zu sehen. Das Duo Arbeitstitel malte in sechs Tagen und ihre Arbeit ist noch bis 24.07. zu betrachten.

Das Berliner Duo Arbeitstitel ist ein junges Künstlerduo, das 2017 gegründet wurde und aus Robert Westphal und Laurent Wians besteht. Gemeinsam schaffen sie abstrakte Gemälde und Arbeiten auf unterschiedlichen Trägern und mit unterschiedlichen Medien. Sie verstehen ihre Arbeit als ständigen Prozess und beschäftigen sich in der Abstraktion mit Strukturen, Ordnungen, Hierarchien und Systemen.



Interview mit Arbeitstitel von Katja Aksenenka

Hallo Robert, ihr seid ja schon weit vorangekommen. Kannst du mir etwas über euch als Künstlerkollektiv erzählen? Wo kommt ihr her?

Wir sind zu zweit – ursprünglich ist Laurent aus Luxemburg und ich aus Hannover. Wir haben uns 2016 während des Studiums in Berlin kennengelernt und arbeiten seit Anfang 2017 kontinuierlich zusammen. Wir haben natürlich auch unsere eigenen Sachen, die wir verfolgen, aber das „Main-Ding“ ist im Kollektiv zu zweit. Unsere Arbeit ist größtenteils abstrakt und geht viel um Strukturen, Ordnungen, Hierarchien, Systeme –und auch um Spuren hinterlassen.

Wie seid ihr auf den Namen „Arbeitstitel“ gekommen?

Der ist aus dem konzeptionellen Gedanken entstanden, obwohl wir noch mit sehr intuitiver, expressiver Malerei angefangen haben. Wir wollen den Prozess in den Vordergrund stellen, dass es kein Endergebnis, immer wieder nur Zwischenstopps gibt. Im Endeffekt nur das Priorisieren von Prozess über Ergebnis.

Wie seid ihr auf diese Arbeitsweise gekommen?

Wir haben angefangen zusammen zu arbeiten, weil sich das in der Uni organisch ergeben hat.Wir hatten vorerst den Gedanken: „Wir wollen jetzt zusammenarbeiten“, ohne dass wir genau wussten, was daraus entsteht. Das gemeinsame Malen hat sich über ein paar Monate zu einem Prozess entwickelt, der dann erst einmal intuitive, abstrakte Malerei, Kommunikation – ein back and forth wurde und auch erst mal blieb. Daraus haben sich dann unsere ersten richtigen Arbeiten entwickelt und auch weiterentwickelt.

Das abstrakte, intuitive Malen – dieses kommunikative Malen, dieses Hin und Her wird gerade deutlich weniger, weil wir das Gefühl haben, dass es für uns vorerst abgeschlossen ist. Es war ein guter Einstieg und natürlich hat diese Arbeitsweise auch bereits versucht etwas anderes aufzudecken, als nur irgendetwas zu malen oder zu zeigen. Das Grundinteresse war schon da: „Was steckt in diesem Hin und Her? Und wie kriegen wir das nach außen?“ Dieses Nicht-Sichtbare irgendwo sichtbar machen zu können.

Gerade geht es auch um Politik und Weltgeschehen. In unserer Arbeit für das STILLSTAND-Projekt versuchen wir auf Corona und den Pandemiealltag visuell einzugehen. Die Verknüpfung zu unseren persönlichen Interessengebieten, der Ästhetik von Ordnungsstrukturen, also eine  zur Einhaltung von Gesetzen und Regeln angelegte Ästhetik, ist leicht gemacht. Wie zum Beispiel durch die Flatterbänder, die man hier sieht.



Welche Gesetze und Regeln meinst du genau?

Ich meine Symboliken, die uns im Alltag beeinflussen. Wenn dieses Flatterband irgendwo zwischen zwei Pollern hängt, dann gehst du da nicht weiter, weil es abgesperrt ist. Aber natürlich könntest du da hin – du verbrennst nicht und trittst nicht in Lava. Für diese exekutiv wirkende Ästhetik innerhalb eines gesellschaftlichen Systems interessieren wir uns sehr. Warum reichen dafür gewisse Farb- und Form-Codes? Sie haben schon einen nahezu biologisch natürlichen Charakter, der in unserer Stadtwelt zum Tragen kommt. Ästhetik beeinflusst Menschen sehr stark und kann manipulativ genutzt werden, um beispielsweise politische Ziele besser verfolgen zu können.

Die Symbole und die Farben, die ihr hier verwendet sind ja dann eher auf den deutschsprachigen Raum anwendbar, da in anderen Ländern andere Farbcodes existieren. Man könnte dann sagen, ihr geht direkt auf die Situation hier in Deutschland ein?

Das passiert eher unbewusst, natürlich nehmen wir Bezug auf unser Umfeld, in dem wir uns bewegen. Das ist meistens Berlin, was aber keine Grenze für unsere Materialsuche darstellt. Das orange Muster was zu sehen ist, kenne ich aus dem südwesteuropäischen Raum, in Italien und in Spanien.Es unterscheidet sich natürlich national und trotzdem existiert doch eine gewisse Universalität. Dieses rot-weiße Flatterband, auch wenn es vielleicht nicht genau so in England produziert und benutzt wird, könnte es dort den selben Zweck erfüllen. 



Wäre interessant zu wissen, wer auf diese Ideen kam…

…und wie sich das im Laufe der Zeit entwickelt hat. Warum ein System Interesse daran hat eine solche Ästhetik möglichst gut und wirkungsvoll umzusetzen, ist ja klar.

Kannst du mir vielleicht genauer erläutern, was die blauen Teile in eurem Bild bedeuten?

Durch die Thematik „Was kann Kunst in Zeiten von Corona?war ziemlich klar, dass der naheliegende Gedanke ist: Kunst kann darüber reden! Kunst kann verschiedene Blickwinkel eröffnen und offene Fragen hinterlassen.

Die blauen Elemente sind verpackte Metallrohre, die digital verzerrt wurden. Es sind in einem relativ dichten Abstand sechs Stück nebeneinander. In dieser Verzerrung und Wiederholung von links nach rechts können sie auch als Personen, als Standpunkte funktionieren. Wir möchten aber ungern zu viel erzählen.



Was habt ihr zusammen studiert?

Wir haben beide Grafik und Illustration hier in Berlin studiert.

Arbeitet ihr auch auf der Straße oder macht ihr hauptsächlich Aufträge und Atelierarbeiten?

Wir sind schon größtenteils auf die Studioarbeit fixiert, machen aber hin und wieder Wandbilder. Da wollen wir uns eigentlich gar nicht unbedingt einteilen. Ich glaube, dass vor allen Dingen das Temporäre und der andere Wert des Arbeitens, uns am draußen malen reizt. Dass es nicht zwangsläufig diesen Produktcharakter entwickelt, zum Beispiel den, dass es eine Leinwand ist und du das mitnehmen und an einen anderen Ort transportieren kannst. Sondern, dass du an einem Ort fixiert bist,  aber nur temporär – also genau das Gegenteil von dem, was das Produkt “Leinwand” macht. 

Eine letzte Frage noch: Denkt ihr, dass Kunst in Krisenzeiten systemrelevant ist?

Nein. Die künstlerische Forschung, Diskurse und Austausch empfinden wir als wichtige Möglichkeiten im Prozess von Problemlösungen, jedoch zeigt eine solche Krisensituation auch erneut wie kaputt kapitalistische Systeme sind und aktuell werden ja auch die Forderungen nach essentiellen Veränderungen in der Kunstlandschaft lauter. Umdenken ist notwendig, damit Kunst ein wirkungsvoller Verbund inklusiver Praktiken und vielleicht sozialgesellschaftlich systemrelevant werden kann.

Danke Robert und Laurent für das Interview!




instagram.com/_arbeitstitel_
arbeitstitel.org
urbanspree.com/blog


Text zu #StillStand DE & EN, Bildredaktion: Katia Hermann

Interview DE & EN: Katja Aksenenka

Dank an die Fotografen: 
Lukas K Stiller, Bart v Kersavond

Bart Van Kersavond
Founder URBANPRESENTS.net

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