Skip to main content

CREAM – Writing geprägt von Austausch und Experimentierfreude

, by Katia Hermann

Potsdam, Hamburg, Heidelberg, Leipzig und Berlin

Der in Berlin lebende Writer CREAM stammt ursprünglich aus Potsdam. Im September 1991 lernte er MYTHOS kennen, der damals schon mit Sprühdosen experimentierte. Ermuntert durch gemeinsame Aktionen, fing CREAM an eigene Bilder in seinem Umfeld zu hinterlassen. Im Frühjahr 1992 entdeckte er während eines Besuchs in Hamburg das Buch „Spraycan Art“, das ihm fortan als Inspirationsquelle diente und ihm eine Vorstellung von der Vielfalt der Aerosol Art gab. Abenteuerlustig erkundete er regelmäßig Hamburg, Berlin und seine Geburtsstadt Potsdam, entdeckte dabei frühe Arbeiten des Writers WORK, die einen starken Einfluss auf die noch junge Potsdamer Szene hatten. Zwischen 1992 und 1994 probierte er verschiedene Namen aus und malte mit seinem ersten Partner END in verschiedenen Crews. Auf der Suche nach einer eigenen Formensprache bekam er wichtige Impulse vom befreundeten Writer SHAB.



Anfang 1995 entstand an einem Teilstück der Berliner Mauer sein erstes CREAM-Piece. Dabei orientierte er sich sowohl an europäischen Stilen als auch am Writing aus New York. Auch Heidelberger Pieces weckten sein Interesse und etwas später lernte er dort den älteren Writer KANE und Mitglieder der TPM-Crew kennen. Beeindruckt von deren Verständnis für die damalige Hip Hop-Kultur wuchs in ihm ein neues Bewusstsein für die Zusammenhänge dieser Subkultur. Später trat er in Kontakt mit Adrian Nabi des Berliner „Backjumps“-Magazins, um ihn mit Fotos der Potsdamer Graffiti-Szene zu versorgen.

In Leipzig traf CREAM auf SLACK, der damals schon gut vernetzt war und durch Kontakte in die Leipziger Stadtverwaltung regelmäßig offizielle Wandproduktionen organisierte, zu denen er auch CREAM und seine Freunde einlud. Als CREAM sich im Sommer 1996 mit SHAB und HOK erneut in Heidelberg aufhielt, machte ihn KANE mit KAM und KOMET bekannt, wodurch ein langjähriger Austausch zwischen Heidelberg und Potsdam entstand, der in die bis heute existierende MAD-Crew mündete. Geprägt vom Style Writing aus New York, Berlin und Potsdam machte CREAM während dieser Zeit eine Berufsausbildung zum Schildermaler. Dort lernte er nicht nur grundlegende Kenntnisse der Buchstabenlehre, sondern auch weitere handwerkliche Techniken, durch die er sein bisheriges autodidaktisches Wissen vertiefen konnte.  



Umbruch, Wandel und Millennium

Nach der Ausbildung und Monaten mentaler Stagnation unternahm CREAM mit SHAB und WORK zum Jahreswechsel 1998/99 eine zweimonatige Reise nach Dahab auf den Sinai in Ägypten. Diese Zeit wurde zu einer Phase der Introspektion, der Erholung und lieferte wertvolle Inspirationen, die seine Auffassung vom Style Writing grundlegend prägen sollten. Losgelöst von alten Konventionen, experimentierte er mit Farben, malte vermehrt auf Leinwänden, widmete sich Collagen und versuchte sich in verschiedenen Techniken und neuen Formaten. Mit seinen Crew-Mitgliedern malte er nun ineinander, übereinander, Buchstaben wurden aufgelöst und es entstanden zusammenhängende Wandmalereien. Während dieser Phase reduzierte CREAM seine Pieces auf das Wesentliche und verzichtete auf klassische Style-Attribute.



In dieser Zeit begegnete er dem Writer DOGMA, der ihn einlud sich an dem Projekt „eyland 2“ zu beteiligen. Das Projekt wurde damals von dem Maler Rayke Götze initiiert und war der Versuch klassische Malerei mit Aerosol Art zu kombinieren und präsentierte ausserdem Arbeiten der Potsdamer ANTI, DOGMA und WORK sowie von den Berlinern AKIM und ESHER. In den 90er Jahren wandelte sich Potsdam von der einstigen Hausbesetzer-Hochburg zu einer biederen Kleinstadt. Stückchenweise verschwanden liebgewonnene Orte der Selbtverwirklichung. Ernüchtert von den Umständen – aber doch von einer Aufbruchsstimmung beseelt – kehrte CREAM Potsdam 2002 den Rücken und ging für einige Zeit nach Italien.



Im Versuchslabor Berlin

2004 zog CREAM nach Berlin, wo er vom urbanen Flair und der Experimentierfreude vieler unterschiedlicher Akteure inspiriert wurde und anfing eigene, künstlerische Konzepte zu entwickeln. Bis 2010 arbeitete er multidisziplinär, nutzte unterschiedliche Materialien, agierte in verschiedenen Kontexten und wurde Teil einer bestimmten Szene. Mit eigensinniger Formensprache produzierte CREAM Plakate und Leinwände, die er subtil in das Stadtbild platzierte. Dazu verwendete er oftmals geklaute wetterfeste Bauplanen und strapazierfähiges Tape. Durch diese Materialen bekamen die Leinwände eine unverwechselbare Ästhetik, in der sich Buchstabenfragmente neben Abstraktionen auflösten.



Die Demontage bisheriger Graffiti-Konzepte wurde für CREAM eine Passion. Es entstanden abstrakte Gebilde in Throw-Up-Manier, die intuitiv und spontan mit Dose und Streiche an ausgesuchten Stellen angebracht wurden. Die intensive Suche nach geeigneten Orten schulte seinen Blick für das Urbane und die Dokumentation seiner Außenarbeiten mit Fotografie- und Videotechnik wurden zentraler Bestandteil künftiger Arbeiten. Im Jahre 2005 war CREAM Teil der „City of Names“, 2007 wirkte er an der Konzeption der Ausstellung „Planet Prozess“ mit wo er als Künstler-Duo mit seiner Partnerin eine eigene Arbeit präsentierte. Auf dem „Names Festival“ 2008 in Prag klebte er mit Tape zum ersten Mal minimalistische Outlines auf Mülltonnen. Dieser simple Eingriff orientierte sich an Readymades, indem banale Objekte aus dem Stadtraum zu symbolischen Bombing-Pieces umgearbeitet wurden, die man so nur von CREAM kennt. In den nächsten zwei Jahren, in denen er durch Europa reiste, verwandelte er etliche Mülltonnen, Müllsäcke, Container, eingepackte Heuballen oder Parkplatzschilder in Pieces mit seinen fünf Buchstaben.



Und immer wieder zog es ihn zurück nach Italien, insbesondere in die Stadt Napoli. Dabei war er oft in Begleitung seiner befreundeten Writer ANY1, BETA und SQUAD, die ihn später in ihre Crew 247 aufnahmen. Zwischen 2008 und 2010 reiste er mehrfach nach Moskau und hielt Kontakt mit den dort lebenden Writern OSKES, SCHEME, SUGAR18 und TEAR, mit denen er gemeinsam experimentelle Projekte in Moskau, Berlin und Potsdam verwirklichte.


Weiter reisen hin zur Gegenwart

Auch mit Beginn des neuen Jahrzehnts ergaben sich weitere Reisen, seine Themenfelder erweiterten sich und er lernte den Berliner Writer GATE sowie BOE kennen, den er regelmäßig in Wiesbaden besuchte, bis dieser nach Berlin zog. Sowohl mit GATE als auch mit BOE entstand ein enger künstlerischer Austausch und gegenseitige Inspiration. Spontanität in der handwerklichen Umsetzung eigener Kompositionen, in denen Buchstaben zeitweise ganz verschwanden, prägten CREAMs Stil in dieser Zeit. Im Sommer 2011 lud ihn der Tänzer Robert roBirhythm Segner ein, um Teil des Orga-Teams für die Blockparty-Reihe „Plattenspieler“ in Potsdam-West zu werden, dessen Kern ein hochkarätiger internationaler Breaking Battle war. Während des zweitägigen Festivals wurden neun Stelen bemalt, die den ehemaligen Mauerelementen ähneln und dem Ort den Namen “Die Platte” verleihen. Die Organisation der Live-Malaktionen lag in den folgenden Jahren bei CREAM. Von gemeinsamer Schaffenskraft geprägt, lud er dazu zahlreiche KünstlerInnen und WriterInnen ein, die die vertikalen Stelen gemeinsam in Live-Sessions gestalteten. Diese Stelen inspirierten CREAM Pieces im Hochformat zu entwickeln und er begann gezielt auf Säulen, Pfeilern oder in Nischen zu arbeiten.



Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 experimentierte er in seinem Atelier an einer umfangreichen Serie kopierter Marker-Zeichnungen, die auf lauter kleinen CREAM-Skizzen basieren. Diese wurden zerschnitten, gefaltet und neu zusammengesetzt. Die dadurch entstandenen verschachtelten Konstrukte enthalten Farbstudien und Formspiele. Während der Lockerungen des ersten Lockdowns organisierte er mit befreundeten Writerinnen wie GATE, KASE, BSOS, ROSS, BROM, ROGER, RELAX, SCIM oder OLIVE wiederholt Mal-Sessions im Mauerpark, um die Wand gemeinsam zu gestalten. Hier verzichtete CREAM immer mehr auf Sprühdosen, setzte stattdessen hauptsächlich Wandfarbe, Rollen und Pinsel ein, wodurch die Pieces malerischer und freier wurden. Dabei wechselten sich intuitive, spontane sowie im Vorfeld genau überlegte Kompositionen ab. 



Die Buchstaben C, R, E, A, M waren und bleiben weiterhin bei allen Gestaltungen, die er selbst inzwischen als Schriftbilder bezeichnet, die Basis seiner Arbeiten. Jedes seiner Bilder ist Spiegel eines jahrzehntelangen Versuchs Style Writing auf visueller und inhaltlicher Ebene stets weiterzudenken und neu zu interpretieren. Seine wichtigste Inspirationsquelle sind dabei die Menschen, mit denen er sich im kreativen Austausch befindet. CREAM hat im Style Writing seine Form des künstlerischen Ausdrucks gefunden, um persönliche Emotionen, Erfahrungen oder gesellschaftsrelevante Themen in einer eigenen manchmal auch „schrulligen“ Bildsprache zu verarbeiten.



Diese Zusammenfassung wurde gemeinsam von Katia Hermann und CREAM verfasst.

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

vierzehn − 4 =