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Erwarteter Film von Rocco und seine Brüder „Blaues Licht“

, by Katia Hermann

Bis zum Ende des 85-minütigen Films „Blaues Licht“ von einer unbekannten Filmemacherin Sophie Sonntag, sowie noch Zeit danach, werfen die unterschiedlichen Handlungsebenen beim Zuschauer immer wieder Fragen auf: Wer ist Teil des Spiels? Wer ist professioneller Schauspieler, wer Laie und wer ist nicht eingeweihter Mitwirkende? Was ist denn nun wahr? Ausser den Archivbildern von Graffiti Aktionen, Trainwriting in mehreren Städten dieser Welt, aufgenommen über Jahre, scheint alles ziemlich ungewiss.

„Blaues Licht“ ist eine Widmung an einen verstorbenen jungen Mann, einen Graffiti Writer. Der Film von 2018 entsteht in Zeiten, in denen die subversive Kunstbewegung in einem Transformationsprozess steckt, sich durch legales sowie Auftrags-Graffiti und durch die Verwendung anderer Mittel, wie auch durch Interventionen und Kunstaktionen im öffentlichen Raum, zunehmend verändert.
„Blaues Licht“ ist der erste Film, der das problematische Leben eines leidenschaftlichen Graffiti Writers sehr wohl thematisiert und doch kein herkömmlicher Graffiti-Film ist, und daher ein alleinstehendes einzigartiges Werk.

Die Aufzeichnung einer stattgefundenen Theateraufführung in einem Berliner U-Bahn-Schacht enthält die autobiografische Narration eines Graffiti Writers, die emotionale Ebene, die Tragik, stellt Fragen und sucht Antworten auf das Warum mache ich das eigentlich immer wieder? Wie höre ich damit auf? Sinnvolle künstlerische Arbeiten im öffentlichen Raum zu schaffen, mit Inhalt und Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen Problemen, ist womöglich eine Antwort.


„Blaues Licht“ – © Rocco und seine Brüder, 2018

Der Film ist ein geniales Verwirrspiel von Täuschungsmanövern und realen Geschehnissen, eine Mischung aus Fiktion und Dokumentation mit verschiedenen erzählerischen Ebenen. Bis zum Schluss herrscht Ungewissheit über die Erzählungen. Zwischen Komik des Filmes, Tragik des Theaterstückes und dubiosen Umständen, bleibt der Zuschauer intrigiert und gewiss nicht unberührt. Aufgezogen wie ein Mockumentary, ohne 100% einer zu sein, ist „Blaues Licht“ bis zum Nachspann eine gelungene Mischung der Genres. Das Konzept des Filmes in zwei „Akten“ produziert, ist clever durchdacht: die vorerst aufgezeichnete Theateraufführung als erster Akt, die Konstruktion einer Fiktion (oder nicht?) über die dubiosen Umstände dieser Theateraufführung als zweiter Akt. Die Idee der breitangelegten Inszenierungen, die bis ins letzte Detail geplant und akribisch vorbereitet wurden, sowie das Verwenden wahrhaftiger Archivbilder und Videoprojektionen im Theaterstück für die Narration, machen den Film zu einer originellen, multimedialen künstlerischen Arbeit. Die Macher bleiben bis zum Ende anonym, und die anfangs ahnungslosen Zuschauer der Theateraufführung, werden Teil einer Inszenierung, Teil der Erzählung eines Spielfilmes, aber vor allem Teil eines großartig durchdachten Kunstprojektes in zwei Akten.


„Blaues Licht“ – © Rocco und seine Brüder, 2018

Das Kollektiv

Rocco und seine Brüder, das Berliner Künstlerkollektiv mit Wurzeln im Graffiti Writing, ist bekannt für Installationen im öffentlichen Raum seit 2016, dessen Prozesse wie eine Performance filmisch begleitet und dokumentiert werden, und somit in Form von Videoclips über die sozialen Medien veröffentlicht werden. Ob urbane Intervention, Urban Hacking, Adbusting oder Kommunikationsguerilla, ihre engagierten Aktionen sind perfekt durchdacht, frech und provokativ, die Themen gesellschaftskritisch und die Resultate künstlerisch wertvoll. Mit Sarkasmus und Satire durch détournement und selbstentworfene Designs/Sets, schafft das Kollektiv perfekte Inszenierungen im urbanen Umfeld, die zum Denken und Handeln anregen sollen. Themen wie die omnipräsente Werbung oder Videoüberwachung im Stadtraum, steigende Mieten und das Problem der Obdachlosigkeit, sowie die Waffen- oder Textilindustrie werden angeprangert. Die Politik entkommt auch nicht einem „künstlerischen Streich“, wie z.B. die AfD-Partei. Meist in BVG-Umgebung oder auf der Straße inszeniert, wirken ihre clever vorbereiteten Installationen durch eine gewisse Ästhetik und starke Aussagen. Durch kurzformatige Online-Videos verfolgt man ihre zunehmenden Aktivitäten und wartet immer gespannt auf den nächsten Post.

Das Medium Film und die darstellenden Künste gewinnen für die Aktionen des Kollektivs immer mehr an Bedeutung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass nun ein langer Film entstand, der jedoch mehr ist als ein Spiel- oder Dokumentarfilm für das Kino. Er ist eine fiktiv-dokumentarische Tragik-Komödie über ein Theaterstück mit einer grandios durchdachten künstlerischen Inszenierung und sollte als freies, anspruchvolles, filmisches Kunstprojekt gelten.

Text von Katia Hermann



Blaues Licht Kino Tour 2019

02.05. Berlin / Babylon (Rosa-Luxemburg-Str. 30, 10178) 
04.05. Bremen / Horner Eck (Friesenstraße 95, 28203)
09.05. Köln / Dedicated Store (Hamburgerstraße. 18, 50668)
11.05. Dresden / Club Kwang Lee (Görlitzer Str. 35, 01099)
15.05. Jena / Café Wagner (Wagnergasse 26, 07743)
16.05. Erfurt / Retronom (Johannesstraße 17a, 99084)
18.05. München / MUCA (Hotterstraße 12, 80331)
21.05. Herne / Kulturzentrum (Willi-Pohlmann-Platz 1, 44623)
22.05. Chemnitz / Walden Basecamp [Open Air] (Eubaer Straße 233, 09128)
23.05. Hamburg / Fabrique im Gängeviertel (Valentinskamp 28A, 20355)
29.05. Leipzig / UTConnewitz (Wolfgang-Heinze-Str. 12a, 04277)

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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