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Völklinger Hütte präsentiert die 5. Urban Art Biennale® 2019 Unlimited

, by Katia Hermann

14. April bis 3. November 2019


Brachliegende Industriegelände waren schon immer Zielorte für Interventionen von Urban Art KünstlerInnen, daher macht es Sinn die industrielle Kulisse der ehemaligen Eisen- und Stahlwerke des Weltkulturerbes in Völklinger Hütte in eine offizielle Plattform und einen wichtigen Ausstellungsort für Urban Art temporär zu verwandeln. Das Weltkulturerbe in Völklinger Hütte, neben Saarbrücken und der französischen Grenze gelegen, ist das erste Industriedenkmal, das 1994 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde, und seit Jahren bespielt wird mit internationalen Wechselausstellungen, Konzerten und Festivals. Seit 2011 findet dort die weltweit einzige Urban Art Biennale statt und präsentiert alle zwei Jahre verschiedene künstlerische Positionen der internationalen vielschichtigen Kunstbewegung.


Plattformen vor 2011, vor der weltweiten Proliferation der Veranstaltungen rundum Urban Art

In Deutschland leisteten KünstlerInnen und KuratorInnen wichtige Vermittlungsarbeit mit Ausstellungen von im Stadttraum aktiven KünstlerInnen schon vor den Nullerjahren. Nach 2000 entstanden neue Präsentationsformate, wie z.B. Urban Discipline in Hamburg von 2000 bis 2002, die Galerie Urban Art Info 2002 in Berlin oder die wegweisende Ausstellungsreihe Back Jumps Live Issue in Berlin ab 2003, die alle zwei Jahre im Kunstraum Kreuzberg stattfand. Viele von hier früh präsentierten künstlerischen Positionen von KünstlerInnen aus aller Welt, wurden Jahre später bekannt in der Szene, wie z.B. u.a. Banksy oder Swoon. In Europa entstand das erste Street- und Urban Art Festival 2001, das Nuart Festival in Norwegen, das seither als wichtige Plattform gilt. 2008, präsentierten Institutionen wie die Tate Modern in London mit Auftragsarbeiten Street Art. Oder das Grand Palais in Paris mit der Ausstellung „Tag“ zeigte beauftragte Leinwandarbeiten von Graffiti-KünstlerInnen aus aller Welt von einem Sammler. Sie gaben diesen Kunstformen, die ursprünglich nicht-beauftragt im öffentlichen Raum weltweit entstanden, eine institutionelle Anerkennung und verhalfen zum medialen Durchbruch.

2011 fand die erste große umfassende Themenausstellung „Art in the Streets“ im Museum of Contemporary Art (MOCA) in L.A. statt. Im selben Jahr entstanden in Deutschland u.a. das City Leaks Festival in Köln, das Street Art-Projekt „ARTBASE“ in Berlin, und die Urban Art Biennale des Weltkulturerbes in Völklinger Hütte. Seitdem werden alle zwei Jahre auf dem denkmalgeschützten Industrie-Gelände bekannte Urban Art-KünstlerInnen mit Leinwandarbeiten, Wandmalereien, Paste Ups oder Installationen einem breiten Publikum über mehrere Monate präsentiert, wie vor 2019 u.a. Werke von Banksy, Blek le Rat, Shepard Fairey, Futura, Os Gêmeos, Swoon, und von Vhils eine Wandarbeit, die weiterhin im Außengelände steht.


5. Urban Art Biennale® 2019 Unlimited

Dieses Jahr zeigt die Biennale bis November 100 KünstlerInnen aus 20 Ländern von vier Kontinenten mit insgesamt 120 Werken auf einem Parcours von 100.000 m2. Unlimited verweist auf neue Kooperationen mit anderen Spielstätten für Urban Art, in Frankreich und in Deutschland, und erweitert somit sein Aktions- und Wirkungsfeld mit Satelliten-Projekten hors les murs.

Das Zentrum der Ausstellung ist die Möllerhalle: eine 10.000 m2 große Erz-Siloanlage vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Dort hängen vor allem großformatige Leinwandarbeiten wie z.B. von New Yorker Graffiti Pionieren wie Cope2, Rammellzee (RIP) und JonOne und von den figurativ arbeitenden Mode2, Dran oder Popay. Insgesamt 100 international etabliertere KünstlerInnen, viele aus Paris und Berlin, sind hier mit Einzelwerken vertreten. Darunter einige aus Berlin das erste Mal.

Viele Werke in der Möllerhalle sind nicht für die Biennale geschaffen worden und Leihgaben aus Pariser Galerien oder Sammlungen, wie man aus dem Katalog erfährt. Durch die vielen zweidimensionalen Arbeiten vor den Wänden der alten Halle, fallen zwei skulpturale Installationen besonders auf: die von Rocco und seine Brüder aus Berlin, die 2019 das erste Mal auf der Biennale vertreten sind.


Urbane Installationen von Rocco und seine Brüder

Das relativ junge Berliner Künstlerkollektiv Rocco und seine Brüder, gegründet 2016, überrascht gleich mit zwei Arbeiten aus dem urbanen Kontext in einer nicht betretbaren Raumzone. Durch die davor liegende Grube der Erz-Siloanlage, sind die Werke nur mit Abstand zu betrachten. Unnahbar, abgegrenzt, erhalten sie einen musealen, fast sakralen Character.

Die Arbeit „ERROR 404 – Not Found“ besteht aus einer Berliner Litfaßsäule, ohne Werbeplakate, mit Spuren von Plakatabriss, an der eine gelb leuchtende LED-Struktur hängt, so groß wie ein kleines Plakat. Sie stellt ein Symbol auf einem Blatt dar, das man aus dem Internet kennt: das ERROR-Symbol einer nicht gefundenen Seite, ein trauriges Smiley auf rechteckigen Blatt-Format mit eingeknickter Ecke. Doch hier lächelt das Smiley. Ein diskret projizierter Spruch steht vor der Säule am Boden „ERROR 404-Not Found. We cannot find the advertisment or publicity you asked for“. Auf dem Ausstellungsschild zu dieser Arbeit liest man: „Neben dem virtuellen, gleicht auch der analoge Raum einer Dauerwerbesendung. Jede paar Meter flimmern einem die neusten Trends, Angebote, Versprechungen und Träume entgegen. Für eine werbefreie Stadt.“ Die Botschaft dieser Arbeit ist eindeutig. Die Verwendung einer Litfaßsäule kommt zu einem historischen Moment zum Einsatz, denn Berlin trennt sich gerade von fast allen alten Litfaßsäulen. Als konzeptuelles Kunstwerk in dieser Halle präsentiert, wirkt das historische urbane Mobiliar als ästhetischer Gegenstand, doch gleichzeitig wird sein Gebrauch, nämlich als Werbeplattform im Stadtraum, kritisiert und somit durch das Kollektiv wiederum demontiert. Humor und Hohn, Umdeutung und Gesellschaftskritik fließen in ihre urbane installative Kunst immer wieder mit ein, eines der Markenzeichen des Kollektivs.

Die zweite Installation „Only god forgives“ befasst sich mit dem Untergrund der Stadt, der Berliner U-Bahn und dem Trainwriting. Zwei besprühte Berliner U-Bahn-Türen hängen als „modernes gotisches Kirchenfenster“ im Raum, durch einstrahlendes Sonnenlicht in dem Raum werfen sie bunte Farben auf den Boden. Eine kunsthandwerkliche Feinarbeit im „Jugendstil Design“: in einem Metallrahmen eingefasste Bleiverglasung, mit mundgeblasenem Glas, eigenhändig montiert und bemalt. Selbst die BVG-Schilder an den Türen, wie das Videosymbol, alles ist aus Glas konzipiert. Die Brandenburger Tor-Aufkleber, die man von den Fenstern der Berliner U-Bahn kennt, wurden mit Sandstrahl eigenhändig ins Glas gehöhlt. Über den Türen erkennt man eine Lampe. Der Schacht, der Zug, die Schilder, das Graffiti Panel an den Türen werden hier wie eine religiöse Szene in einem schwebenden Kunstobjekt dargestellt, edel wie ein buntes Kirchenfenster, fast anbetungswürdig. Rocco und seine Brüder, die seit den 2000er Jahren Writer sind, spielen hier den herrschenden Fetischismus in der Graffiti Kultur für das Trainwriting an und schaffen dank ihrem Talent für Design und für die perfekte Umsetzung eine symbolische edle Glas-Skulptur.


Besonderes Umfeld für die Kunst

Auf dem weiten Außengelände der Biennale, Paradies genannt, sind Arbeiten in situ zu entdecken. Großformatige fotografische Collagen von Mentalgassi hauchen menschliches Leben in alte industrielle Architekturelemente. Installationen, wie die des französischen Künstlers Katre, beschäftigt sich mit Graffiti und Architektur. Der Graffiti Writer hat sich mit einer Ecke einer Halle auseinandergesetzt, um eine beeindruckende dreidimensionale Arbeit zu schaffen. Die Installation von Überwachungskameras SPY auf einem breiten Schornstein und die männlichen Figuren von Isaac Cordal versteckt in der industriellen Kulisse, fügen sich wunderbar dem architektonische Gebilde. Paste Ups u.a. von Mardi Noir, Blase, MonkeyBird, Levalet und Stencils von Jef Aérosol, sowie Wandmalereien von 2017, wie Mambo’s Malerei im Schornstein (die 2017 schwarz-weiß realisiert wurde und nun mit Farbe übermalt wurde) bespielen das Außengelände.

Zeitgenössische Kunst Biennalen präsentieren meist neben etablierten Künstlerinnen junge aufstrebende Künstlerinnen. Auf der Urban Art Biennale sind es eher wenige. Schade ist, dass Völklinger Hütte mit seinen denkmalgeschützten Gebäuden Urban Art nur als „gezähmte“ Variante für den Innenraum und Außenraum empfangen kann. Austoben können sich hier die KünstlerInnen nicht an allen Flächen wie sie es sonst so gerne tun. Dennoch ist eine Biennale für Urban Art an diesem speziellen Ort zu begrüßen und die Besucher werden eine Auswahl von 120 Werke entdecken, die hier ihre Wirkungskraft besonders gut entfalten können.


Übersicht UrbanArt Biennale 2019 Beiträge:

  1. Völklinger Hütte präsentiert die 5. Urban Art Biennale® 2019 Unlimited
  2. Video UrbanArt Biennale 2019 – Völklingen
  3. Fotos Möllerhalle – Urban Art Biennale® 2019
  4. Parcours – Urban Art Biennale® 2019
  5. 360° Ansichten – 5. Urban Art Biennale® 2019

voelklinger-huette.org
FB/UrbanArtBiennale

Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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