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ARIS: Fluide Scherenschnitte

, by Katja Glaser

„Seit über 10 Jahren habe ich keine Schriftzüge mehr gemalt, auch wenn ich manchmal in den Formen, die ich jetzt mache, die gleiche Struktur sehe, die meine Pieces hatten. Fast wie ein unvollendetes Graffiti, ein Schatten, ein Geist.“


Aris ist ein italienischer Künstler aus der Toskana, der an der Schnittstelle von Grafik, Wandmalerei und Train Writing arbeitet. Bekannt ist er für seine zweidimensionalen, grafischen Figuren und Scherenschnitte, die sich silhouettenartig in die Umgebung einfügen, sie bespielen und dennoch nie wirklich greifbar erscheinen. Durch seine einzigartige, sublim auftretende und beinah schwerelose Bildsprache hat er sich innerhalb der Writing Kultur ein explizites Alleinstellungsmerkmal geschaffen und kann als einer der bedeutendsten Künstler einer neuen Form von alternativer, unautorisierter Malerei im öffentlichen Raum angesehen werden.



Die Evolution der Buchstaben

Aris Ursprünge reichen in die 1990er Jahre zurück, wo er das erste Mal auf Graffiti gestoßen ist – während eines Berlin-Aufenthalts wohlbemerkt: „Ich begann, mich für Graffiti zu begeistern, als ich etwa 15 Jahre alt war. Ich wohnte in einer Provinzstadt und in meiner Gegend gab es damals noch niemanden, der malte. Die ersten Sachen habe ich bei einer Reise nach Berlin gesehen und war sehr beeindruckt. Ich fand es sehr schade, dass es so etwas in dem Ort, in dem ich wohnte, nicht gab. Also fing ich an, die ersten Writings zu machen; Zeichnen oder Malen hatte mich vorher nie besonders interessiert“, so der Künstler. Sein Hauptaugenmerk lag zunächst auf Tags mit Markern. Eigenaussagen zufolge füllte er ganze Notizbücher, um die Verkettung von Buchstaben untereinander zu studieren. Da er zu jener Zeit noch keine Fanzines oder Webseiten zur Verfügung hatte, von denen er lernen konnte, reiste er regelmäßig in nahegelegene Städte, um sich von den Tags anderer Writer inspirieren zu lassen. Er expliziert: „In dieser Zeit waren die Hauptziele für mich und für meine Crew, viel und gut zu malen/produzieren. Die (Weiter)Entwicklung der Buchstaben und die Suche nach einem eigenen Style durch Experimentieren waren Teil des Spiels. Dieser Ansatz ist im Laufe der Zeit ähnlich geblieben und hat mich dazu gebracht, mit verschiedenen Techniken und Formen zu experimentieren.“



Künstlerische Emanzipation

Auch wenn die Zugehörigkeit zu einer Crew für Aris lange Zeit zentral war, fand im Laufe der Jahre dennoch eine künstlerische Emanzipation statt. Dies ist einerseits auf seine persönliche Abneigung gegenüber dem rigiden Regelkanon der Writing-Kultur zurückzuführen, andererseits wurde diese Entwicklung von einem gewissen Unbehagen gegenüber der Spraydose genährt. So kam es, dass er im Laufe der Zeit anfing, unterschiedliche Materialien und Formen auszutesten, wodurch seine Buchstabenkompositionen immer ‚ungestümer‘ und ‚punkiger‘ wurden und sich langsam zu Scherenschnitten entwickelten. Diese 2-dimensionalen, scherenschnittartigen Figuren, die ihre Umgebung wie Fabelwesen bevölkern, bilden heute das zentrale Thema des italienischen Künstlers. Im Interview bemerkt dieser: „Ich habe keine programmatische Wahl getroffen, im Grunde sind mir zweidimensionale, grafische Figuren aus der Hand geglitten, keine realistischen oder fotorealistischen Bilder. Dadurch verwandelten sich die Sujets; von Menschen in Geister, von Tieren in mythische Gestalten. Und dann lag es für mich nahe, sie an verlassene Orte zu platzieren.“ Auch wenn Aris mittlerweile seit 10 Jahren keine Buchstaben mehr gemalt hat, sieht er in seinen Scherenschnitten, manchmal immer noch eine enge Verwandtschaft zu seinen damaligen Pieces, zumindest auf struktureller Ebene – „so als wären sie unvollendete Graffiti, ein Schatten, ein Geist.“


Lebensgroße Figuren und Wandmalereien

Auch wenn bei Aris Werken nicht von fest in sich geschlossenen Serien gesprochen werden kann, differenziert der Künstler dennoch in folgende Erscheinungsformen: „[…] Ich betrachte die gesamte Graffiti-Produktion auf Personenzügen getrennt von der Arbeit auf Güterzügen. Dann gibt es die lebensgroßen Figuren, die in einer Umgebung kontextualisiert sind sowie die komplexeren Wandmalereien. Unter den Arbeiten auf Güterzügen könnte man weiße, monochrome Arbeiten als ein wiederkehrendes Phänomen beurteilen. Ich betrachte sie zusammenhängend und miteinander verbunden wie die Fortsetzung einer Geschichte“, so der Künstler.

Was seine lebensgroßen Figuren angeht, ist der Künstler weniger daran interessiert, auf der Straße, in vielbelebten oder gut sichtbaren Orten zu arbeiten. Versteckte Gegenden und Plätze sind stattdessen sein bevorzugter Wirkungsraum. Er expliziert: „Viele meiner Arbeiten sind schwer zu finden, erfordern Recherche und Erkundung. Ich bevorzuge verlassene Gebiete, verlassene Fabriken, Metalltanks oder alte Gebäude, wo – nachdem sie verlassen wurden – die Natur wieder die Oberhand gewinnt.“ Anfangs war es für ihn immer besonders spannend zu sehen, welchen (unerwarteten) Effekt die Begegnung seiner Figuren an den speziellen Orten auslösen konnte. Für ihn schienen sie oftmals wie Bewohner, die diese verlassenen Gegenden bevölkerten. Und selbst seine Wandmalereien, die für ein deutlich breiteres Publikum zugeschnitten sind, müssen stets in Abhängigkeit bzw. Wechselwirkung mit der Umgebung, vorhandenen Infrastruktur sowie Beschaffenheit der Wand verstanden werden – wobei Aris stets versucht, die Menschen, die im Alltag mit den Wandgemälden in Berührung kommen, mitzudenken.



Dies führt vor Augen, dass die Adaption und das Einlassen auf bestimmte Orte, Situationen und Atmosphären innerhalb seiner Arbeit einen wichtigen Stellenwert einnimmt. So findet während dem Malprozess immer eine Art Adaption und Interaktion mit dem Trägermedium statt. Aris expliziert: „Selbst wenn ich eine präzise Idee habe, die ich umsetzen möchte, gibt es immer eine Anpassung und Interaktion mit der Oberfläche und den Materialien. Wenn ich auf der Straße male, sind die Oberflächen, auf denen ich arbeite, nie neutral wie ein leeres Blatt oder eine Leinwand. Ich kann Unregelmäßigkeiten, Risse, Schweißnähte, Pflanzen, Farbveränderungen, Schriftzüge oder Logos finden. Diese Hintergründe werden Teil der Arbeit. Sie nicht zu berücksichtigen, würde bedeuten, die Arbeit nicht als Ganzes zu betrachten.“ Und er führt fort: „Wenn ich die Komposition verändere und verforme, um etwas einzubauen und zu verdecken, was ich nicht haben möchte, gehe ich einen Kompromiss ein. Manchmal sind diese Unregelmäßigkeiten [aber auch] der Ausgangspunkt für die Entstehung neuer Formen“, bemerkt Aris.


Züge

Während Personenfernreisezüge anfangs Aris bevorzugtes (mobiles) Medium waren, arbeitet er heutzutage vorwiegend auf Güterzügen. „Die Idee, ein Werk zu schaffen, das sich zu unbekannten Zielen bewegt, hat mich schon immer fasziniert“, erzählt Aris. „Wie ich schon sagte, lebte ich in einer Provinzstadt und besonders in den ersten Jahren gab es noch keine Graffiti-Szene, mit der man sich auseinandersetzen konnte. Der Zug war die Möglichkeit, die Arbeit zu zeigen, indem man in Kontakt mit größeren Städten kam, ohne sich physisch zu bewegen.“ An Güterzügen schätzt er hierbei vor allem die Form, die großen Flächen ohne Unterbrechungen, die Materialien Stahl und Blech, sowie die die Art und Weise wie sie sich im Laufe der Jahre verändern. Diese Materialien bestimmen den Malprozess aktiv mit: „Bei Güterzügen ist es oft der Hintergrund, der das Regelwerk vorgibt. Die verschiedenen Modelle haben unterschiedliche Farben und Oberflächen. In der Vergangenheit habe ich viel mit grauen Zügen gearbeitet, die mich wegen der Möglichkeit, Ton-in-Ton-Arbeiten zu schaffen, fasziniert haben. Außerdem erzeugen sie aufgrund der besonderen Farbe, mit der sie überzogen sind, einen Kontrast zwischen dem Glanz des Zuges und der Opakheit der Quarzfarbe. Meine Formen, die an Schatten erinnern, sind durch die Reflexion des Lichts noch stärker in diese Illusion eingebunden.“

Was bei Aris lebensgroßen Figuren die Wahl des Ortes und die damit verbundene Erkundung ist, ist bei seinen Zugarbeiten wohl die Aktion sowie das (atmosphärische) Erlebnis an sich. Er erläutert: „[…] Die Erkundungsphase ist sehr wichtig. Ich glaube, dass bei Graffiti auch der Ort und der Wettbewerb Teil der Arbeit sind.“ Und er führt fort: „[Was die Züge betrifft], […] geht es bei der Atmosphäre des Ortes eher um das Erlebnis. Das Auswahlkriterium hängt mit anderen Faktoren zusammen, wie der Möglichkeit, ein bestimmtes Modell zu finden, die Seite gut zu erreichen, zwischen den Gleisreihen zu stehen oder nicht. Es bietet sich beispielsweise besonders gut an, wenn vor dem Zug, den ich bemalen will, ein anderes containertragendes Zugmodell steht, das ich als Stütze nutzen kann, um höher zu arbeiten.“



Malprozess

Was Aris Arbeitsweise angeht, gibt es keinen Paradeweg, keine feste Konstante, an der er sein Handeln ausrichtet. Vielmehr lässt sich Aris gerne von seiner Intuition leiten und improvisiert. Er bevorzugt fluide Formen, die auf der Interaktion von Hintergrund und Subjekt basieren und ein Spiel von Gegensätzen und Symmetrien herausfordern. Manchmal lässt er sich hierbei von Gesten zu neuen Formen anleiten. In diesen Fällen fängt er an, verschiedene Farben aufzutragen und Flecken zu erzeugen – zunächst fast zufällig, bis sich letztlich doch neue Formen und Figuren herausbilden. Und selbst wenn doch einmal alles durchgeplant ist, Skizzen angefertigt und Farbstudien durchgeführt wurden, gibt es Variablen, die sich nur schwer kontrollieren lassen: „Die Tatsache, dass ich Farben auf Wasserbasis verwende, zwingt mich dazu, das Klima genauer zu berücksichtigen; nicht nur den Regen, sondern auch die Feuchtigkeit. Einmal kam ich nach einer Aktion in einer sehr nassen Nacht zufällig am nächsten Tag zurück, um ein Foto zu machen, und die Arbeit war komplett weg“, erzählt Aris. Dies führt vor Augen, dass Aris – aufgrund seiner Farb- bzw. Materialwahl und den damit einhergehenden technischen Aspekten – logistisch gesehen, sehr gut organisiert sein muss. Im Interview berichtet er davon, wie die von ihm gewählten Materialien ihn vor Jahren dazu veranlassten, seine Bildwelten zu vereinfachen. „Da es sich um Farben auf Wasserbasis mit flächigem Farbauftrag handelt, muss ich immer warten bis ein Farbton getrocknet ist, um dann zum nächsten übergehen zu können. Wenn ich also weniger Zeit zur Verfügung habe, ziehe ich es vor, monochrom zu arbeiten. Mehrfarbige Arbeiten kann ich nur an sehr heißen und trockenen Tagen anfertigen. In diesem Fall trocknet die Farbe in wenigen Minuten und ich kann die Arbeit in weniger als einer Stunde fertigstellen“, erklärt Aris. Ähnlich wie die Klima- und Wetterverhältnisse, beeinflusst den Künstler aber auch die Dunkelheit der Nacht, der er im Rahmen seiner Arbeit oftmals ausgesetzt ist. An sehr dunklen Orten nutzt er daher bevorzugt Farben, die einen starken Kontrast zu der Oberfläche bilden, auf der er arbeitet – Weiß auf rostigem Metall zum Beispiel. Dabei sind weiße, monochrome Arbeiten derzeit ohnehin seine bevorzugte Ausdrucksform, denn die weiße Quarzfarbe ist für ihn auch auf symbolischer Ebene relevant. Er erklärt: „Die Bilder, die diese neuen Oberflächen, Wände oder Züge, bevölkern, werden mit der gleichen Substanz und der gleichen Farbe geschaffen, mit der sie normalerweise überdeckt werden.“


Studioarbeiten

Aris Studioarbeiten können nie losgelöst vom Außenraum gedacht werden. Vielmehr nährten sich beide Wege – ‚Straße‘ und Studio – immer gegenseitig. „Zuerst habe ich zu Hause die Skizzen für die Pieces angefertigt und dann, getrennt davon, eine ganze Reihe von Arbeiten mit Formen und Materialien, die ich noch nicht nach draußen gebracht hatte.“ Dies hat(te) zur Folge, dass er oft viele Stunden alleine im Studio verbringt – was einerseits einem Befreiungsschlag gleichkommt, durch welchen er sich „sowohl von den Dogmen, den Einflüssen als auch von der Dynamik der Gruppe“ befreite. Andererseits fordert(e) diese Praktik aber auch viel Disziplin, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit zum Alleinsein ein.

Wichtig bei seinen Studioarbeiten ist ihm vor allem ein gewisser Innovationsgrad. So nutzt er die veränderten Bedingungen des Innenraums, um immer wieder neue Dinge auszuprobieren. „Wenn ich gebeten werde, Arbeiten für Innenräume, Museen oder Galerien, umzusetzen, versuche ich, neue Dinge zu entwerfen. Dinge, die ich draußen nicht machen kann und die mir Motivation geben, im Innenraum zu arbeiten. Diese Erkundungen haben letztlich dazu geführt, dass ich – neben der zehnjährigen grafischen Tätigkeit (mit der ich nie aufhöre und die ich sehr brauche, um meinen Ideen Gestalt zu geben) – anfing, verschiedene Träger, Materialien und Perspektiven zu kombinieren.“



Da seine Arbeiten im Allgemeinen sehr grafisch gehalten sind, war es für ihn hierbei ein logischer Schluss, im Innenraum mit Schichtungen und Schnitzereien zu experimentieren, sowohl additiv als auch subtraktiv gedacht. Der Künstler expliziert: „In einer Ausstellung 2011 im ‚Cantiere San Bernardo‘ in Pisa habe ich große Paneele aus transparentem PVC gebaut, auf denen die Malerei – die die Transparenz abschirmt – Formen und Atmosphären geschaffen hat. Sowohl auf PVC als auch auf Papier schuf ich Muster, die – einmal perforiert – in eine Beziehung zu anderen, darunter liegenden Mustern und Perforationen traten. Ich begann diese Forschung in Berlin, wo mich die tägliche Beziehung zu neuen technischen Materialien faszinierte und stimulierte.“ Und auch die ortsspezifische Arbeit, die er für die Ausstellung „Aber du siehst mich nicht / Unorte & Umwege“ in Herne produzierte, sei Teil dieser Forschung gewesen, so Aris weiter.



Dies macht deutlich, dass Aris im Allgemeinen sehr daran gelegen ist, den eigenen Horizont stets zu erweitern. So holt er sich nicht nur in der Kunst, sondern oftmals auch in anderen Disziplinen und Gattungen Inspiration. Im Interview berichtet er davon, wie er eine Zeit lang im Theater arbeitete, wo er dafür verantwortlich war, alltägliche Gegenstände, wie z.B. verschiedene Möbel, in Bühnengeräte umzuwandeln. Und auch in einem selbstverwalteten Raum in Florenz, dem ‚Elettro +‘, arbeitete er eine Weile und profitierte von der kreativen Arbeitsatmosphäre verschiedener Künstler.


Das entschiedene Unentschieden

Abschließend gilt festzuhalten: Aris gilt als einer der eigenständigsten und relevantesten Künstler alternativer, unautorisierter Malerei im öffentlichen Raum und hat sich innerhalb dieser Nische ein explizites Alleinstellungsmerkmal geschaffen. Das Interessante an seinen Arbeiten ist hierbei vor allem, dass sie keinesfalls losgelöst vom materiellen Träger und dessen Untergrundbeschaffenheit gedacht werden können, sondern dass sie sich erst aus ihrer Beziehung zum Hintergrund ergeben. Seine scherenschnittartigen Figuren und fluiden Körper sind somit keinesfalls vom Wunsch getrieben, ihre Trägermaterialien zu durchbrechen – ganz im Gegenteil. Vielmehr nehmen seine Bildwelten erst im Dialog mit dem Untergrund Gestalt an und stehen in einem permanenten Aushandlungsprozess mit demselben. Sie breiten sich fluide aus und bewegen sich auf einen mehrdeutigen Schluss zu, wodurch sie sich dem unmittelbaren Erkennen oder Verstehen entziehen (vgl. Fusion Gallery). Auf diese Weise verharren sie in einem Zwischenstadium: dem entschiedenen Unentschieden.

Woher Aris seine Inspiration nimmt, kann er selbst nicht richtig deuten. Womöglich handelt es sich um ein Zusammenspiel von Kunstfertigkeit, situativem Feingefühl und unbändigem Experimentier- und Entdeckergeist. Im Interview beschreibt er dies mit folgenden Worten: „[…]. Ich weiß nicht, ob es der Raum ist, der das Denken formt, oder ob nicht umgekehrt, die neugeborene Form den Raum formt. Wahrscheinlich gibt es eine osmotische Beziehung, in der nach verschiedenen Versuchen und Wiederholungen ein Element der Neuheit eingefügt wird (eine Farbe, eine Textur, ein Material, ein neues Thema), das Teil der bisherigen Kosmogonie werden muss. Ich mache so weiter, bis alles vereint, verschmolzen, irgendwie aufgelöst ist. Und wenn wieder Ruhe herrscht, habe ich das Bedürfnis, ein neues belebendes Element hinzuzufügen.“

Auf die Frage hin, was im Hinblick auf Graffiti, die kommenden Jahre noch an Innovation zu erwarten ist, benennt Aris drei Punkte: Eine Sache, die ihn sehr fasziniert, ist die der Anamorphose – also das perspektivische Spiel von Formen mit der Architektur, wie in Peetas Arbeit zum Beispiel. Des Weiteren erwähnt er das Potenzial stilistischer Veränderungen, durch die Veränderung von Techniken; wenn z.B. an Buchstaben festgehalten wird, aber die Sprühdose ersetz wird. Als dritten und letzten Punkt benennt er die Einflüsse von Digitalisierung und Globalisierung. Er konkretisiert: „In den frühen Jahren, als ich Graffiti machte, trafen wir uns auf irgendeinem Platz, im Park, in der Hall of Fame, brachten das Sketchbook mit und diskutierten, hörten Musik, verbrachten Zeit miteinander. Jetzt hat sich fast alles ins Internet verlagert. Einer der Aspekte von Graffiti ist es, illegal und ‚outside the box‘ zu sein. Heute müssen diese beiden Eigenschaften durch einen Kanal gehen, der durch Verfolgung, Kontrolle und Datensammlung gekennzeichnet ist – Themen, mit denen sich allen voran die Writing-Welt auseinanderzusetzen hatte. Ich glaube, dass einige interessante Entwicklungen in diese Richtung gehen können; mit Aktionen, die dies reflektieren, durch Veränderungen in der Arbeitsweise. Ich denke da zum Beispiel an gemeinsame oder kollektive Namen oder an anonyme Aktionen wie die, die in ‚Eruption‘ dokumentiert wurde.“ Und er führt fort: „Tatsächlich sind wir nicht nur bei Graffiti, sondern bei allen Formen der Kommunikation, visuell und anderweitig, Zeugen eines Phänomens der weltweiten Homogenisierung. Wie alle Phänomene hat es Vor- und Nachteile, auf die ich nicht näher eingehen werde. Aber ich glaube, dass das Leben in einer in jeder Hinsicht extrem provinziellen Realität mir immer noch einen größeren Spielraum an Autonomie erlaubt. Wir sind ungewollt oder gewollt das Ergebnis von dem, was wir sehen, von dem, in dem wir leben“, so Aris. Diese Ausführungen lassen darauf schließen, dass Aris – auch wenn er sich innerhalb des Feldes alternativer, unautorisierter Malerei bereits jetzt ein explizites Alleinstellungsmerkmal geschaffen hat – seine künstlerischen Grenzen längst nicht ausgereizt hat. Man darf also durchaus noch mit der ein oder anderen innovativen, künstlerischen Erkundung und kunstpraktischen Überraschung rechnen.


instagram.com/aris.01
aix-pb.com/aris_2.html
flickr.com/photos/14720354@N07/page1


References:
www.fousiongallery.com/artist/aris (accessed on: 05.01.2021).

Katja Glaser
Katja Glaser has a doctorate in media studies and works as a freelance author and copywriter in Cologne. She has already published numerous essays on street art and graffiti. Her monograph “Street Art and New Media. Actors – Practices – Aesthetics” was published by transcript in 2017.

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