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OLLIO in Schweden: Experimentelle Abstraktion seit mehr als 20 Jahren

, by Katia Hermann

Anfänge im Style Writing

Jonathan Josefsson alias OLLIO wurde 1978 in Göteborg, Schweden, geboren. Mit 12 Jahren begann er, Hard Rock, Death Metal und Punk zu hören und spielte Bass und Gitarre in einer Band. Später fuhr er Skateboard und legte Techno und Drum & Bass als DJ auf. Er erinnert sich heute, dass bereits 1995 viele Jungs, die er kannte, Tagger waren und Graffiti-Magazine herumzeigten. OLLIO begann damals zu Hause Buchstaben zu skizzieren und sprühte 1996 mit einem Freund sein erstes Piece. Sein erster Name war ZAIR, später MOUSE. In den Außenbezirken von Göteborg gab es Mitte der 90er Jahre viele verlassene Orte zum Malen, der junge Writer wurde immer aktiver und gründete schließlich mit seinem Writer-Freund SOUL eine Crew namens EMS (Eat my short). Nach fünf Jahren kamen weitere Mitglieder hinzu, später wurde er Mitglied der Crew BTL (Breaking the law). Bis 1998 verwendete er den Namen MOUSE für ca. 100 Pieces und entwickelte seinen Wild Style, bis er davon gelangweilt war. Er entdeckte damals Pieces von VINO aus Spanien und originelle Schriftzüge von einigen Trainwritern in Stockholm, wie z.B. von RILO, UNIK, APE und der Fame Crew, die zu dieser Zeit neue Stile entwickelten. 1999 änderte Jonathan seinen Künstlernamen in OGSÅ / OXÅ und experimentierte mit einem Freund mit seinen ersten Abstraktionen auf großen Wänden, für die er hauptsächlich Rolle und Wandfarbe verwendete. Gleichzeitig interessierte er sich auch für Characters, Comic und Illustration und malte – und malt auch heute noch manchmal – figurative Arbeiten auf Wand, da er sich nie nur auf einen Stil festlegen wollte.



Um die Jahrtausendwende: Andere Inspirationen und die Entwicklung zu OLLIO

Von 1999 bis 2001 besuchte Jonathan zwei Jahre lang eine Kunstschule in Göteborg, wo er klassisches Zeichnen und Malen lernte und neue Techniken sowie neue Möglichkeiten entdeckte. Dies habe seinen Geist für die Kunst wirklich geöffnet, so der Künstler. Er lernte die moderne und zeitgenössische Kunst kennen und schätzte die Werke von Picasso, Keith Haring und Basquiat am meisten. Auch der Besuch einer großen Ausstellung des dänischen Künstlers Per Kirkeby mit farbvollen, großformatigen Gemälden hinterließ in jenen Jahren einen nachhaltigen Eindruck auf den damaligen Studenten. Im Jahr 2000 änderte Jonathan schließlich sein Pseudonym in OLLIO und trat der LUPS-Crew (love unlimited productions) bei.



Nach diesen ersten zwei Jahren des Kunststudiums ging OLLIO für ein paar Monate nach Barcelona, wo er viel malte, weil es damals extrem einfach war auf der Straße zu arbeiten. Nach seiner Rückkehr begann er ein Studium an der HDK-Akademie für Design und Kunsthandwerk in Göteborg, wo er 2007 seinen Master in Textilkunst absolvierte. Dort erlernte er die Siebdrucktechnik und die Technik des Handtuftens, um Papierarbeiten und textile Arbeiten wie Teppiche zu schaffen. Seinen abstrakten Stil, den er über viele Jahre hinweg auf Wänden entwickelt hatte, wendete er schließlich auf Papier an, indem er Druckeditionen schuf, und im Textilbereich begann, handgefertigte Teppiche in verschiedenen Formaten und Formen herzustellen. In diesen Studienjahren entdeckte er auch den französischen Comic-Zeichner Moebius und seine fantastischen Comic-Bücher und andere Science-Fiction-Comics, die für ihn immer noch eine große Inspiration sind. OLLIO setzte die Malerei im Freien fort und experimentierte immer mehr mit abstrakten Formen und Farbflächen. In den Jahren 2003-2004 entstanden einige originelle abstrakte Werke auf Zügen und Wänden. Eine große Inspiration zu dieser Zeit war ein Writer namens HOTEL aus Stockholm, laut OLLIO. Die abstrakten Kompositionen mit bunten Farbfeldern und stilisierten Formen, die er mit Rolle und Farbe malte, sind für die damalige Zeit, Anfang der 2000er Jahre, eher außergewöhnlich.



Die experimentelle Abstraktion von OLLIO

OLLIOs Spiel mit Buchstaben und Zeichen aus dem Style Writing entwickelte sich somit nach 1999 zu abstrakten Mustern und gestaltlosen Formen, die wie Dinge aussehen, aber nicht identifizierbar sind, und keine figurativen oder gegenständlichen Elemente darstellen. Sie sind verschachtelt und miteinander verbunden, entwickeln sich wie Doodles/Kritzeleien in einer freien Komposition mit vielen Outlines. Organisch-mechanisch anmutend, aus Teilen von Rädern, Rohren, Balken und Rechtecken, oder mit eher runden und organisch anmutenden Formen, scheinen seine Pieces/Wandbilder in Bewegung und wie ein lebendiges Gebilde. OLLIO regt unser Hinschauen und unsere Vorstellungskraft an, denn es braucht Zeit, um alle Elemente und Details in den meisten seiner Werke zu entschlüsseln und den Verknüpfungen und Dynamiken zu folgen.



Der Künstler, der aus der Freestyle-Kultur kommt, verwendet immer noch Freestyle-Elemente an Wänden und auch auf Papier, hauptsächlich in seinem Skizzenbuch. Er skizziert viel, macht sich Notizen, kopiert aber nie eine Skizze an der Wand. Sein Skizzenbuch ist eine Fundgrube für neue Ideen, sagt er. In den letzten Jahren hat er auch begonnen, mit einem iPad zu zeichnen, was ihm neue Möglichkeiten der Bildgestaltung eröffnet.



Wenn OLLIO eine Komposition an der Wand beginnt, legt er zunächst eine Größe und einen Maßstab für die Formen fest, je nach Materialien, die ihm zur Verfügung stehen und je nach Größe der Wand. Sobald er die Größen seiner Muster festgelegt hat, improvisiert er, versucht nicht nachzudenken, sondern lässt die Formen sich frei entwickeln wie ein Doodle. Die Formen, die er malt, sind seine ganz eigenen Formen, die er im Laufe der Jahre entwickelt hat, und mit Dynamik und Bewegung ein ganzes bilden. Während des Malprozesses lässt er sich vom „Flow“ leiten und malt schnell, um den Schaffensfluss beizubehalten. Manchmal definiert er ein rechteckiges Feld im Vorfeld an der Wand, meist als Panoramaformat, das er mit seinen Formen und Mustern ausfüllt, quasi wie auf einer Leinwand. Aber meistens sind seine Kompositionen in einer wolkigen, runden, organischen Form an die Wand gesetzt, Wandmalereien, die er immer noch Pieces nennt. Was seine Technik an der Wand betrifft, so verwendet der schwedische Künstler sowohl Rollen- und Wandfarbe als auch Sprühfarbe. Für die Farbpalette verwendet er mit Vorliebe helle Farben im Hintergrund, wie Pastellfarben in Gelb-, Rosa- oder Violetttönen, mit Wandfarbe gestrichen und fügt schwarze Linien mit der Sprühdose hinzu, um einen hohen Kontrast zu erzielen. Einige seiner Werke sind auch schwarz-weiß gehalten, um den höchstmöglichen Kontrast auszureizen.



OLLIO liebt es, neue Kombinationen auszuprobieren, sich ständig weiterzuentwickeln. Und auch wenn er sich selbst als langsam und mit nur leichten Veränderungen wahrnimmt, von seiner Intuition geleitet, schafft er nicht zu stagnieren. Und auch wenn er in seiner Kunst keine Buchstaben mehr malt, weil er seiner Meinung nach sowieso schon immer ein kompliziertes Verhältnis zu Buchstaben als Formen hatte, liebt er immer noch Tags, Schriftzüge und klassische Pieces und malt weiterhin auf der Straße mit anderen Namen neben seinen abstrakten Werken oder Auftragswänden als OLLIO.

Seit vielen Jahren hat er seine Atelierarbeiten, hauptsächlich Arbeiten auf Papier und aus Textil, in vielen Ausstellungen vor allem in Schweden gezeigt. Seine Teppiche haben besondere Aufmerksamkeit erregt, seine originellen abstrakten Teppiche sind in der Tat herausragend, da er ein in der Post-Graffiti-Szene unübliches Medium verwendet. Und als einzigartige Kunstwerke für die Wand in verschiedenen Formen, Größen und Farben, die vom Künstler selbst mit der Tufting-Technik hergestellt werden, enthalten sie seine über Jahre entwickelte Bildsprache im Style Writing und in der Abstraktion und sind letzendlich abstrakte Bilder.



In den vergangenen 20 Jahren hat OLLIO über 1000 Wandbilder in verschiedenen Kontexten gemalt und bereits 45 öffentliche Aufträge von verschiedenen Gemeinden erhalten. Mit seinen frühen abstrakten Werken und seinem sehr persönlichen Stil, den er selbst als experimentelle Abstraktion bezeichnet, ist er eine der wichtigsten Akteure des abstrakten Post-Graffiti in Schweden.

OLLIO ist auch der Herausgeber des AGM Magazine (Abstract Graffiti Magazine). Die Idee eines Magazins, das sich nur mit abstrakten Graffiti beschäftigt, hatte er schon vor langer Zeit, weil er so viele gute Werke auf Instagram entdeckt hatte. Während der Corona-Pandemie hatte er plötzlich viel Zeit und produzierte die erste Ausgabe im Jahr 2021, ohne einen bestimmten Plan. Er hatte bereits einige Erfahrung mit dem Erstellen von Büchern und arbeitete seit einiger Zeit mit InDesign für grafische Gestaltung. Die erste Ausgabe wurde in einer Auflage von 150 Exemplaren veröffentlicht. Aufgrund der guten Resonanz beschloss er, weiterzumachen. Er knüpfte viele Kontakte in Europa und immer mehr Writer und Künstler aus aller Welt senden ihm heute Fotos zur Veröffentlichung zu, nach einem Open Call für die nächste Ausgabe. Das Magazin und seine Leser sind seit der ersten Ausgabe gewachsen, die kommende Ausgabe 6 wird mit 600 Exemplaren gedruckt und erscheint ganz bald, im April 2023.



instagram.com/ollio/


Katia Hermann
French-German art historian, curator and writer. After her studies of art history and cultural management in Paris, Katia moved to Berlin in 2001. For twenty years, she has worked as a freelance exhibition-maker/curator, cultural manager, writer and translator. After working for documentary film- and exhibition productions, she curated thematic exhibitions of modern & contemporary art and photography for institutions, project spaces and galleries. She always endeavors to promote artists with contemporary relevant topics, new visual languages, and tries to mediate to a wide public. After her research grant for fine arts with the topic Urban Art Berlin (Berliner Senate Department of Culture and Europe) in 2017, she initiated and coordinated the Urban Art Week in Berlin in 2018 and 2019. The photo exhibition BERLIN: WRITING GRAFFITI started 2019 to tour to Brussels with a publication. Beside her curatorial practice, Katia gives art tours and writes about urban art, contemporary art, and in particular about post-graffiti painters for magazines and blogs.

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